Hochwasser von 1882/83 in Nauheim                             

Die Ereignisse vor und nach dem Hochwasser von 1882/83 werden nachstehend im Wortlaut dokumentiert.
Zur damaligen Zeit hatte Nauheim um 1400 Einwohner und das Siedlungsgebiet umfasste die alte Ortslage bis teilweise zur Bahnhofstraße und zur Bahnlinie.

1882/83 aus der Kirchen-Chronik: "Hochwaßer. Das Jahr 1882 war ein außerordentliches. Im Frühjahr war es anhaltend trocken und rauh; dagegen vom 30. Mai, dem Tage des doppelten Hagelschlages an während des Sommers und im Herbst fast beständiges Regenwetter. Im October und November war beinahe kein Tag ohne Regen. Infolge desselben stieg das Grundwaßer so hoch, wie es kaum jemals gewesen war, bis in die Mitte des Pfarrhofs. Von Anfangs November 1882 an bis Mitte März 1883 stand es in den meisten Kellern des Dorfes in dem unter dem Pfarrhaus mehrere Fuß hoch. Hierzu kam das Regenwaßer von oben. Schon im October wurde eine Feldflur (Flur X.) mit Winterfrucht überschwemmt. Desgleichen eine mit Kartoffeln, Weißkraut u.s.w. Am Sonntag, dem 26 November 1882 wurde der Main und zugleich der Eisenbahndamm zwischen Bischofsheim und der Gustavsburg von den hochgehenden Fluthen des Mains durchbrochen. Vom 27ten November an gingen keine Bahnzüge mehr zwischen Mainz und Darmstadt. Die Postsachen wurden durch einen besonderen Pferdewagen auf der Chaussee von Darmstadt nach Nauheim u.s.w. gebracht. Am 28. November ging wieder nach jeder Richtung 1 Zug, nach einigen Tagen die Anderen. Der Ort Nauheim blieb, Gott sei Dank, vom Oberwaßer verschont."

"Schlimmer war es jedoch bei der zweiten Fluth, der größten, welche seit März 1784 in hiesiger Gegend gewesen ist. Am 29. December 1882, Mittags, brach der Damm an der neuen Schwarzbachschleuse bei Astheim. Gegen Abend kam das Rheinwasser von dort die Schwarzbach herauf und strömte mit Geräusch über die Uferdämme auf die Felder. Mit äußerster Anstrengung wurde nun Tag und Nacht an einem Nothdamm um das Dorf herum durch den Pfarrhof u.s.w. gearbeitet. Alles wurde durch mehrmaliges Sturmläuten zusammengerufen. Auch Königstädter wurden requiriert. Die Pferde mußten bis zur Erschöpfung Sand herbeifahren. Doch alle Mühe war vergeblich. Wem der Herr nicht das Haus baut, arbeiten umsonst die daran bauen.
Die Leute aus den bedrohten Ortstheilen flüchteten am 31ten December ihr Vieh in die Vorstadt. In der Neujahrsnacht fiel das Waßer wieder, infolge eines Bruchs am linksseitigen Damm des Landgrabens Wallerstädten, wodurch dasselbe nach Leeheim, Geinsheim zu abgeleitet wurde. Jahr 1883."

"Am 1. Januar (1883) holten viele ihr Vieh wieder zurück, um es nach 6 Stunden vor einer viel größeren Fluth von neuem zu flüchten. Am 2. Januar brach der Landdamm am Hahnensand unterhalb Erfelden. Nun kam das Waßer des immer noch steigenden Rheins mit großer Gewalt unter den Eisenbahnbrücken her über die ganze Gemarkung Nauheim. 30 cm überströmte es die Nothdämme, kam in 65 Hofreithen mit Scheuern und Stallungen und drang in 25 Häuser, so daß die Leute in die oberen Stockwerke oder in die Vorstadt flüchten mußten. Die ganze Hintergaße, die Vordergaße bis an das dritte Haus von der Kirche an, der größte Theil der Pfarrgasse und der Waldstraße (Wüsten Wiese), sowie ein Theil der Schul? Straße. (Römer) und der westliche Giebel des Rathhauses war im Waßer, so daß die Leute auf Floßen von Bretern, Thüren und Waschbütten auf den Straßen und in den Höfen herumfuhren. Rings um das Pfarrhaus stand das grüne Rheinwaßer und strömte von oben in die Keller. Sämmtliche 3 Pfarrgärten waren überschwemmt."

"Vom Gemeindewald und dem Großherzoglichen Park an bis an den Rhein war alles ein See. Die drei untersten Stufen der Treppe vor dem Pfarrhaus waren vom Waßer bedeckt. Nur circa 25 cm (1 Fuß) stand es unter dem Fußboden der Wohnstube, 75 cm tief um das Haus, mitten im Hof über 1 Meter, unten wenigstens 1 1/2 Meter. Am letzten Haus in der Vordergaße stand es 160 cm."

"Am 31. December mußte der Pfarrer, um in die Kirche zu gelangen, auf einer Leiter aus dem Fenster steigen. Am 1. Januar wurde auch dieser Weg abgeschnitten. Man konnte nur noch über ein Bret vom Küchenfenster zu Küchenfenster in das Nachbarhaus (Jünglings) und von da auf einem in der Pfarrgasse gelegten Steg weiter. Nur die Straße nach Königstädten, der obere Rand des Eisenbahndamms (ca. 1/2 m hoch), die Vorstadt, die Kirche und einige Häuser um dieselbe, sowie die beiden Schulhäuser mit den meisten in der Schulstraße waren vom Waßer frei. Neben dem Bahnhof konnten Treburer Nachen landen. Eine Astheimer Leiche mit Sarg wurde an dem Gemeindewald vorüber nach Rüsselsheim zu geflößt."

"Vom 4. Januar an stand die Fluth still. Am 5ten früh 3 Uhr trat langsames Fallen ein. Nachdem Anfangs der unaufhörlich strömende Regen, am 2. Januar ein heftiger Sturmwind und am 3. Januar Abends 10 Uhr ein heftiges Gewitter mit starkem Donnern und Blitzen die Schrecken der Fluth noch vermehrt hatten, trat am 5ten Frost ein bis zu -6° R. Am 9. Januar konnte man vom Wald hinter Nauheim an bis zu den Ufern des Rheins Schlittschuhe laufen, was die Jugend zu Nauheim, Groß?Gerau u.a. Orten in den nächsten Tagen eifrig benutzte. Allmählich verlief sich das Waßer unter dem Eis. Menschenleben waren nicht zu beklagen, auch kein Verlust an Thieren. Nur ein Pferd ertrank auf dem Weg nach Trebur. Durch diese große Uberschwemmung wurde, außer dem Hausrath und den Fußböden in den bemerkten 25 Häusern (zu welchen auch die kaiserliche Post gehörte), viel Viehfutter, Heu, Stroh, Dickwurzeln, Kartoffeln u.s.w. in den Scheunen und Kellern, sowie in den Gruben und auf den Feldern verdorben. Desgleichen wurde die Winterfrucht auf den Äckern durch das darüber stehenden Waßer erstickt, mit wenigen Ausnahmen. Erfreulich war die Theilnahme der Menschen. In anderen Gegenden wurden zahlreiche Liebesgaben gesammelt und auch zu Nauheim, wie an den anderen Orten des Überschwemmungsgebietes, wurden Kleidungsstücke, Lebensmittel, Steinkohlen, Futter, Saatfrüchte u. dgl. in. an die Waßerbeschädigten vertheilt. Gott wolle uns in Zukunft vor ähnlichen Ereignißen in Gnaden behüten."

Die Schäden waren groß; eine Auflistung der wesentlichsten Kostenpunkte verdeutlicht, wie das Hochwasser wüten kann. Gemeindekosten sind notiert für: "Reinigung der Ortsstraßen von Sand und Eis nach dem Hochwasser" und "Herstellung der durch das Hochwasser fortgetriebenen Kehlen- und Bleichbrücke" und "Ausfüllen des in dem Feldweg nach der Stockemer Irren durch das Hochwasser gerissenen Loches" und " Aufräumen des vom Hochwasser zugeflöszten Herrenwiesegraben" und "Ebenen des im Pfarrgarten und angrenzenden Hofraithen und Gärten aufgeworfene Nothdämme" und "Bachuferarbeiten, aufgraben und zuwerfen von Bachufern und Legen einer weggeschwemmten Brücke" und "den vom Hochwasser überschwemmten Weg nach dem Walde an der sog. Belle 108 Mtr. lang 4 Mtr. breit und 20 Ctmtr. über den Wasserstand mit Sand zu überfahren" und "Herstellung, des bei dem Hochwasser abgerisenen Stücks Einfriedigungsmauer des Bullenplatzes und Repratur des Pflasters daselbsten" und anderes, hier weggelassene mehr. Auch in den Häusern mußte vieles ausgebessert werden, wovon wir nichts erfahren, lediglich "von 8 Eisenbahn Waggon" lesen wir, für "Steinkohlen-Asche zum Ausfüllen überschwemmt gewesener Wohnungen".

Noch 1883/84 werden Schäden repariert. Auch hier sollen einige aufgeführt werden, um uns bessere Vorstellungen jener Ereignisse zu ermöglichen: "Für Arbeiten und Kosten in Folge des eingetrettenen Hochwassers: a. dem Johannes Kaul I. für Aufräumung der Schwarzbach unterhalb der Mühle, soweit dieße durch die Uferrutschung nöthig geworden 50 M. c. dem Konrad Hessemer II zu Königstädten Heilkosten Entschädigung für den seinem Sohn, bei Hülfeleistung bei Errichtung der Nothdämme, erlittenen Armbruch 10 M. d. dem Philipp Friedrich und Georg Sünner daselbsten Ersatz für denselben bei Hülfeleistung bei dem Hochwasser zu Grunde gegangenen Hohlschippen 3 M. e. dem Georg Peter Geier für Aufräumen des Kanals in der Hintergasse, nach dem Hochwasser 2 M. " und für die Entwässerung der sog. Bell mit Sprungplatz, der Gewann i . n der Wüstenwiese und am Wasein, auf die Schwarzbach stoßend durch Anlegen eines Röhrenkanals . . . ."

Quelle: "Aus der Nauheimer Chronik I", S. 262 ff. Autor: Harald Hock

 


Hochwasserstein in der Hintergasse


Hochwasserstein in der Vorderstraße


Ausdehnung der Rhein-Überflutungsgebiete von 1882/83
                                   
(Quelle: Informationsplattform Undine)