Glocken und ihre Botschaften - Klingende Denkmale

Ihre Stimme ordnet den Tag, mahnt den Frieden an oder ruft zur Messe am Heiligen Abend – so geschieht das seit Jahrhunderten. Aber wie bedeutend sind Glocken heute noch und welchen Beitrag leistet die Deutsche Stiftung Denkmalschutz für ihren Erhalt?
Für jeden Glockenkenner steht ihre Bedeutung außer Frage. Mit der Ernennung des Glockengusses und der Glockenmusik zum immateriellen Kulturerbe 2025 hat die deutsche Glockenkultur auch im öffentlichen Bewusstsein mehr Widerhall gefunden. Gerade zur Weihnachtszeit sind Glocken ein beliebtes Motiv in Klang und Bild – an den Fernsehbildschirmen, in der digitalen Welt und im realen Stadtbild. Die großen Glocken bekommen aber für gewöhnlich nicht alle zu Gesicht: Sie hängen in luftigen Höhen in Glockenstühlen und Kirchtürmen. Denn 85 Prozent der Glocken in Deutschland sind Kirchenglocken. In Zahlen heißt das aktuell etwa 90.000 Stück. Wenn sie läuten, werden sie zum raumgreifenden Klangerlebnis oder begeistern ganz einfach – seien es die 37 Porzellanglocken des Carillons der Frauenkirche in Meißen, die Glocken im Turm der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche oder der dicke Pitter im Kölner Dom.

Akustische Zeichen setzen
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Marcus Schmidt ist geprüfter Glockensachverständiger und Referent für Glockenläuteanlagen und Turmuhren im Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland. Er arbeitet seit über 25 Jahren in dem Bereich und hat im Rahmen seiner Mitgliedschaft im Beratungsausschuss für das deutsche Glockenwesen den Antrag zum immateriellen Kulturerbe begleitet.
„Glocken haben mittlerweile eine starke kulturelle Klangkonkurrenz“, sagt Schmidt, und „wenn Kirche beginnen würde, spirituell obdachlos zu werden“, bliebe das auch für das sakrale Läuten nicht ohne Folgen. Er spielt dabei auf den anhaltenden Mitgliederschwund und die einhergehende Aufgabe von Kirchengebäuden an. Das betrifft auch Glocken und Geläute. Schwände das Läuten in den Dörfern und Städten zunehmend, wären die Glocken ohne Gotteshaus auch heimatlos. Die Eintragung in die Liste zum immateriellen Kulturerbe ist somit ein Zeichen für traditionelle Handwerkskunst, christliche Tradition und klangliche Wirksamkeit. „Glocken sind mehr als akustische Signalgeber. Sie sind klingende Denkmale“, sagt Schmidt und bezieht sich auf das, was jeder beim Wort Glocke denkt: auf ihren Klang.

Zum Klingen bringen

Um Läute- oder Kirchenglocken zum Klingen zu bringen, muss man sie in pendelnde Bewegung durch Schwingung versetzen. Die Glocke ist ein Freiluftinstrument und wirkt auf besondere Weise auf Menschen, da wir sie anders als die meisten Musikinstrumente hören. Mit ihrer Reichweite steht sie vor allem im Dienst der Liturgie: Jeden Sonntag lädt sie die Gemeinde zum Gottesdienst und bittet morgens, mittags und abends zum Gebet. Sie verkündet mit feierlichem Geläut die hohen Feste des Jahres. Sie läutet zur Taufe, zur Hochzeit und zum Tod. Dabei waren Glocken über Jahrhunderte hinweg weit mehr als die Darstellung von gesellschaftlichen Ereignissen oder Instrumente der Einteilung des Tages in Arbeits- und Ruhephasen.

Schon damals bedeutete ihr Klang – und vielleicht heute sogar mehr – ein Stück Heimat. Er stiftete beispielsweise in der kirchlichen Gemeinschaft Identität, hielt sie zusammen – und sollte auch den Teufel abwehren. So manchem Glöckner wurde das wohl zum Verhängnis und der Blitz traf ihn. Vielleicht auch, weil er den Donner nicht hörte? Viele Glöckner wurden im Laufe ihres Lebens taub. Die Liste lässt sich lange fortsetzen und eines ist dabei ganz tief verankert im Glockenwesen: Ob Kirchturm-, Schul-, Sturm-, Schiffs-, Rathausglocken oder Carillons – ihr Läuten ist Ausdruck für den Zusammenhalt einer friedlichen Gemeinschaft. Es ist ein Friedensläuten.

Klagen übers Klingen

Auch wenn das Friedensläuten, das 2025 wieder europaweit stattfand, wohl fast niemandes Ruhe stört, braucht es vermehrt gesetzliche Regelungen bei Beschwerden über Glocken: Beim weltlichen Geläut entscheidet bei einer Anklage oft die Lautstärke oder triftige Gründe bleiben maßgebend, wie beispielsweise der Erhalt der tagesstrukturierenden Tradition. Sakrales Geläut ist geschützt durch die Religionsfreiheit. Dabei unterliegt die Kirchenglocke einer Läuteordnung, die bestimmt, wann sie klingen darf. Jedem Nichtgläubigen sei verziehen, dass er über das Angelusläuten, das den Gläubigen die Botschaft des Engels für die Jungfrau Maria ins Bewusstsein rufen soll, um 5 Uhr in der Früh flucht. Dabei ist sich Marcus Schmidt sicher, dass, „wem erst mal bewusst geworden ist, welcher Ton- und Klangreichtum in einer Glocke steckt, das Musikinstrument zu würdigen weiß“. Er beschreibt Glocken als „ganzes Orchester von Tönen und Teiltönen“. Mit seiner Passion lockt Schmidt fast jeden Glockenkritiker auf die klingende Seite. Sicher erst recht, wenn das Gegenüber erfasst, welche Geschichte Glocken hüten.


Jakobus-Glocke der katholischen Kirche in Nauheim,
Ton f1+3/16 Halbton, 110 Sekunden Nachhall.
Der Schlagton teilt sich exakt in Töne der vorhandenen Glocken "Salve Regina",
gegossen von Albert Bachert GmbH in Heilbronn am 14.9.2001,
Durchmesser: 1,161 m,    Hohe: 1,03 m,   Gewicht: 780 kg.
Material: Glockenbronze aus 78% Kupfer und 22% Zinn.

Glockengeläut

Ursprünge der Glocke

Die Heimat der Glocke ist Asien, insbesondere China – aus Erz gegossene Glöckchen schützten ihren Träger, oft Tiere, vor dem Zorn der Götter und dem Feind. Bereits im 6. Jahrhundert vor Christus beherrschte man dort die Kunst, Glocken auf bestimmte Tonhöhen zu gießen und sogar zu stimmen. Durch das hohe technische Niveau des Gusses und das Wissen um akustische Wirkungen entstanden Tempelglocken mit gonghaftem Klang ebenso wie zartklingende Glockenspiele. Über Völkerwanderungen, Handelswege und kulturelle Einflüsse gelangten sie nach Westen und erreichten Europa. Die frühen europäischen Glocken waren klein, dienten als Amulett oder Schmuck und wurden zur Abschreckung oder als akustisches Erkennungszeichen verwendet – ähnlich wie im asiatischen Raum. Koptische Mönchsgemeinschaften in Ägypten dürften wohl die ersten Christen gewesen sein, die die Glocke im 4. Jahrhundert nach Christus als Rufinstrument in ihren Dienst nahmen. Irische Geistliche, die Teil einer frühmittelalterlichen Missionsbewegung waren, führten zudem einfache Glocken auf ihren Reisen mit sich. Ihr Gebrauch verbreitete sich in Schottland, England und Deutschland. Aus dieser Zeit sind noch aus Eisenblech genietete Glocken erhalten geblieben, darunter der sogenannte Saufang, wahrscheinlich im 9. Jahrhundert gefertigt. Denn bevor Kaiser Karl der Große persönlich einen Mönch aus dem Kloster Sankt Gallen nach Aachen holte, der die Kunst des Bronzegusses beherrschte, bestanden die Glocken in unseren Gefilden aus Eisen.



Klingende Bilder


Mit der Christianisierung wurde die Glocke zum Symbol der Verkündigung des Evangeliums, ihr Läuten im Mittelalter fest in kirchliche Rituale eingebunden. Man versah sie mit sakralen Inschriften, häufig mit den Namen der Evangelisten, Heiligendarstellungen, Pilgerzeichen oder Stifterbildnissen, ebenso mit Inschriften wie „O Rex glorie, veni cum pace“, die den Wunsch nach Frieden ausdrückten oder das Böse abwehrten, etwa durch apotropäische Symbole oder Gebetstexte wie „Ave Maria, gratia plena“. Ornamentik und Inschriften dienten also weit mehr als nur der Zierde und transportierten optische, künstlerische und politische Botschaften.

Glocken formen, Glocken gießen

Die Form und der Klang der Glocke entwickelten sich parallel zur Verfeinerung der Gießtechnik: Von Schalen- und Bienenkorbglocken im 9. bis zum 11. Jahrhundert über Zuckerhut- und Birnenformen im 12. bis zum 13. Jahrhundert bis hin zur gotischen Dreiklangrippe im 14. Jahrhundert. Sie gilt bis heute als harmonisches Klangideal. Der Höhepunkt in Guss und Klang wurde in der Spätgotik erreicht. Die Erfurter Maria Gloriosa aus dem 15. Jahrhundert gilt als eine der klangvollsten Glocken, die jemals gegossen wurden. Das bis heute angewandte Lehmformverfahren wurde im 12. Jahrhundert entwickelt – auch Friedrich Schiller beschrieb es.

Beständige Klangfülle

Unterschieden nach Material bleibt die Bronzeglocke auch heute die häufigste. Die Glockenbronze besteht aus einer Legierung von circa 22 Prozent Zinn und 78 Prozent Kupfer. In Zeiten der Materialknappheit und zur Kostenverringerung wurden Glocken vor allem zwischen Ende des 19. und bis Mitte des 20. Jahrhunderts aus Ersatzmaterialien gefertigt: Gusseisen oder Eisenhartguss waren hoch im Kurs. „Glocken aus Eisenhartguss haben eine Haltbarkeit von bis zu 100 Jahren und nehmen an Klangfülle ab“, so Alexander Gütter. Er arbeitet bei der Deutschen Stiftung Denkmalschutz (DSD) in der Denkmalförderung und ist Glockenliebhaber. Aus der Denkmalpflegepraxis weiß er, dass Eisenhartgussglocken oft gegen solche aus Bronze ausgetauscht werden. „Nur so lässt sich die Klangfülle wieder aufstocken. Bronzeglocken sind sehr beständig.“


Mittlerweile mischen sich historische und denkmalgeschützte Glocken mit Neugüssen. Dabei liegt der DSD daran, Bestehendes zu erhalten. In einem aktuellen Glockenprojekt der George-Bähr-Kirche im sächsischen Forchheim werden drei Bronzeglocken wieder instand gesetzt. Die große und die mittlere Glocke wurden in der berühmten Freiberger Glockengießerei Hilliger gegossen, die vom 15. bis zum 17. Jahrhundert tätig war. Die kleinste stammt aus der Glockengießerei Apolda. Die thüringische Stadt war einst die deutsche Glockenhauptstadt. Die Herausforderung bei den Forchheimer Glocken ist es, die bereits geschweißten Stellen wieder instand zu setzen. Unterstützt wird das Vorhaben auch von der Stiftung Klosterkirche Arendsee, eine treuhänderische Stiftung der DSD.

Von Glockenstapeln und Glockentürmen

Seit dem Mittelalter prägen sakrale und profane Glocken als monumentale Instrumente das akustische Bild europäischer Städte. Gerade in der Denkmalpflege werden sie als Teil eines Geläute-, Architektur- und Stadtensembles verstanden. Zum Erhalt der Glocken gehört somit auch die Instandhaltung und Restaurierung von Glockentürmen und -stühlen inklusive der technischen Vorrichtungen. Die DSD förderte beispielsweise Restaurierungen wie die des Campaniles der Friedenskirche in Potsdam Sanssouci oder des stählernen Glockenstuhls im Ulmer Münster, der zu den ersten seiner Art in Deutschland zählt. Sebastian Wamsiedler bestätigt das ganzheitliche Verständnis von Glocken in seiner Tätigkeit als Glockensachverständiger und Campanologe. Die Campanologie ist die Wissenschaft der Glockenkunde.

Heimatklang

In dieser Funktion betont er auch, dass der „Heimatklang der Glocken, damals wie heute, ein essenzieller Teil des Verständnisses für Glocken ist“ und ein Bewusstsein für den Wert des Instrumentes schaffe, besonders der eigenen Dorf- oder Gemeindeglocken. Aktuelle Initiativen wie die klingende Glockenlandkarte zum Mitmachen #createsoundscape bekräftigen diese Idee und rufen auf, Glocken aus der Nachbarschaft und aus aller Welt auf einer digitalen Landkarte zum Klingen zu bringen. Sicher eine gute Möglichkeit, dem nun ausgezeichneten kulturellen Erbe, seinem Klang und seiner Vielfalt mehr Sichtbarkeit zu verschaffen. Nicht umsonst gibt es mittlerweile eine große Bewegung an YouTubern, Bewegtbildproduzenten für ein Video-Internetportal, die online unzählige Glockenschwünge und -klänge dokumentieren. Begeisterung und Freude am Klang lassen sich auch direkt am Instrument erleben: „Das Spannende ist ja, dass sie Musik und Klang hören, den auch Menschen vor 500 Jahren schon gehört haben. Das ist nicht bei vielen Instrumenten der Fall. Eine 500 Jahre alte Trompete spielen die wenigsten, oder?“, fragt Wamsiedler und deutet damit vor allem auf die außerordentliche Beständigkeit des Instrumentes hin.


Quelle: Deutsche Stiftung Denkmalschutz, Monumente, Autorin: Svenja Brüggemann



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