Historische Orte und Plätze
        in Nauheim
        






 

   Die Südspitze des "Feldchens": früher Standort von Friedhof, Feuerwehr und Faselstall

Wußten Sie, was sich auf der rund 3,3 ha großen Fläche des Baugebietes "Im Feldchen" befand, bevor die Wohnbebauung 2006 begonnen wurde? Das Areal wird begrenzt durch Waldstraße, Berzallee und Rüsselsheimer Straße. Bereits 1866/67 gab es auf der Südspitze dieses dreieckig geformten Geländes mehrere Gebäude, welche die Nauheimer Geschichte mit prägten. Um welche mittlerweile verschwundenen Gebäude und Anlagen es sich handelt und wie die Fläche ehemals aussah, wird hier dargelegt.

Der Bereich des Baugebietes "Im Feldchen" war seit Jahrhunderten sandiges Ackerland gewesen, bis es im 19. und 20. Jahrhundert zunehmend mit Obstbäumen bepflanzt wurde. Mit der Einführung der Stallhaltung, besonders für Rinder, wurde 1838/39 ein eingezäunter Sprungplatz für die Gemeindebullen eingerichtet. Als 1866/67 die Bullen aus der Privathaltung in gemeindliche Obhut kamen, ließ der damalige Bürgermeister Friedrich Bernhard Benjamin Mischlich von dem Nauheimer Maurermeister Philipp Hummel ein Stallgebäude errichten. Dieser "Bullenhof", später wurde er "Faselstall" genannt, diente zur Unterbringung des Zuchtviehes. Entsprechend dem Viehbestand des damals noch fast ausschließlich landwirtschaftlich geprägten Ortes war die Gemeinde verpflichtet, einen Faselstall mit eigenen männlichen Tieren zu unterhalten. Ein Faselwärter versorgte die Bullen, Eber und Geißböcke, d. h. er kümmerte sich um ihre Fütterung, die Reinigung der Ställe, führte die "Sprungliste" und rechnete die Gebühren mit der Gemeindekasse ab.


Die Nauheimer Familie Nold bei einem Spaziergang auf dem damaligen" Gänsweg", heute Waldstraße. Links ist die Friedhofsmauer zu sehen, im Hintergrund links der hölzerne Schlauchturm des damaligen Feuerwehrhauses, daneben ist das Dach des Faselstalles und noch weiter rechts die Leichenhalle des Friedhofes zu sehen, in der auch der im Museum befindliche Leichenwagen untergestellt war.                                                                                                                                                                            (Foto von 1939 / Fam. Nold)

Am 3. Mai 1891 eröffnete die Gemeinde Nauheim direkt neben dem Faselstall einen neuen Friedhof. Eine Erweiterung des alten und bisher einzigen Friedhofs Nauheims an der Bahnhofstraße war durch den Bau der Eisenbahn unmöglich geworden. Der neue zweite Friedhof in der Geschichte des Dorfes Nauheim, hatte den Namen "An der Bell" und war wie der alte zwischen zwei Viehwegen - heute Berzallee und Waldstraße - gelegen. Der "Gottesacker" war eingefasst von einer umlaufenden Friedhofsmauer aus grobem Bruchsandstein, die als oberen Abschluss einen sog. "Rollkamm" aus auf die Längsseite gestellten verfugten Backsteinen hatte. Die Mauer verlief in einem Meter Abstand von der Bordsteinkante der Waldstraße, das Friedhofstor war in der Höhe der heutigen Waldstraße 23d. Das eigentliche Gräberfeld hatte eine Größe von rund 3200 qm. Es war damit bescheiden klein und demzufolge in seiner Nutzungsdauer beschränkt. Die erste Beerdigung fand hier am 7. Juni 1891 statt. Schon 1927 wurde die Eröffnung des heutigen Waldfriedhofes notwendig und im Friedhof an der Waldstraße durften nur noch Familiengräber bis in den 2. Weltkrieg hinein belegt werden.

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Die Gerätehalle des Bauhofes der Gemeinde Nauheim in der Bildmitte steht im ehemaligen Sprunghof des Faselslalles. Links, aneinandergebaut von vorn: die Waldstraße, die Leichenhalle, das Faselstallgebäude und das Feuerwehrhaus mit dem Schlauchturm; dahinter die Berzallee. Gegenüber dem ehemaligen Sprunghof: Wohnhaus Waldstraße 40.          (Foto um 1976 / Gemeinde Nauheim)

1929 musste der Faselstall erweitert und umgebaut werden. Auch der Neubau eines Feuerwehrhauses wurde bei der Erweiterung berücksichtigt. Nach dem Umbau standen neben einem Büroraum, einem Holzlager für das Heizmaterial, einer Futterküche und den Futtergängen drei abgetrennte Ställe für die Bullen, sechs Boxen für die Ziegenböcke und drei Ställe für die Eber zur Verfügung. Der Feuerwehr Nauheim standen nun ein Feuerwehrhaus mit einem großen Geräteraum mit zwei Toren, sowie ein Schlauchturm zur Verfügung. Im Rahmen des 17. Kreisfeuerwehrtages, welcher 1931 in Nauheim stattfand, wurde das Haus der Feuerwehr feierlich übergeben.


Blick auf die Südspitze des" Feldchens". Links die von Obstbaumstücken umgebene Dreschhalle, rechts das Wohnhaus Waldstraße 52, das den Faselstall völlig verdeckt; dazwischen der Schlauchturm des Feuerwehrhauses und direkt davor die Grabsteine des Gräberfeldes auf dem Friedhof. Im Hintergrund hinter dem Schlauchturm ist sehr klein das Flachdach der Grundschule zu sehen.   (Foto um 1966 I H. Pohler) 

Am 1. Mai 1965 wurde die gemeindliche Bullenhaltung völlig eingestellt; die künstliche Besamung durch den Tierarzt bot viel bessere Zuchtmöglichkeiten. Die Eberhaltung übernahm ein Landwirt in seinem bäuerlichen Anwesen. Wie die Haltung von Zuchtsäuen, war auch die  Haltung eines Ziegenbockes bald gar nicht mehr erforderlich. Der Faselstall war in Nauheim überflüssig geworden.

Das Wachstum der Gemeinde führte zu Überlegungen einen gemeindlichen Bauhof einzurichten. Mit ihm sollten erforderliche Instandhaltungs? und Pflegearbeiten im Gemeindebereich in eigener Regie durchgeführt werden. Auch musste ein weiterer Raum für die Feuerwehr geschaffen werden. Der leer stehende Faselstall wurde daraufhin 1967 umgebaut und um eine separat stehende Gerätehalle erweitert, die in dem ehemaligen Sprunghof errichtet wurde. In die Gerätehalle integriert waren zwei Fahrzeughallen für die Feuerwehr, die ab 1968 der Freiwilligen Feuerwehr Nauheim zur Verfügung standen.

1972 machte man den Gemeindevorstand darauf aufmerksam, dass die vorhandenen Räumlichkeiten für die umfangreicher werdenden Feuerwehrgeräte abermals nicht mehr ausreichten. Die Gemeinde entschied sich für einen Neubau. Als Standort für das neue Feuer wehrhaus wurde der alte Friedhof "An der Bell" in der Waldstraße - zwischen dem Bauhof und der durch das Aufkommen der Mähdrescher stillgelegten Dreschhalle - ausgesucht. Der alte Friedhof wurde eingeebnet und 1975 begann man mit dem Neubau der Feuerwehrhalle, die im Mai 1976 feierlich der Feuerwehr übergeben wurde. Das neue Feuerwehrhaus (gegenüber Grundstück Waldstraße 50) verfügte über sechs Fahrzeugboxen, Werkstätten, Wasch- und Duschräumen, Toiletten, zwei Gruppenräume, eine Küche und zwei Büroräume. Weiter waren noch drei Garagen für das Deutsche Rote Kreuz, Ortsgruppe Nauheim, vorhanden und im Obergeschoss eine Hausmeisterwohnung.

1977/78 veranlasste die Gemeinde den Abriss des alten Feuerwehrgerätehauses neben dem ehemaligen Faselstall an der Berzallee wegen Baufälligkeit. Auch die Dreschhalle (gegenüber Grundstück Waldstraße 54) neben dem neuen Feuerwehrhaus (Waldstraße 23) wurde beseitigt. Die Obstbaumgrundstücke hinter dem Feuerwehrhaus wurden 1978 von der Feuerwehr und der Gemeinde als Festwiese hergerichtet. Bereits zwei Jahre später zog der Bauhof aus dem ehemaligen Faselstall in neue Räumlichkeiten: eine leer stehenden Halle in der Alten Mainzer Straße, wo er heute (2014) noch ist. In dem leer stehenden alten Bauhof standen noch einige Jahre verschiedenen Vereinen Lagerräume zur Verfügung, bis das Gebäude 2003 abgerissen wurde. Das gleiche Schicksal ereilte die separat stehende Gerätehalle im ehemaligen Sprunghof im Jahre 2005.


Die Waldstraße mit dem 1975/76 gebauten Feuerwehrhaus; ganz links sieht man die alte Dreschhalle, in der einst Dresch-
und Saatgutreinigungsmaschine untergestellt waren, in der aber auch gedroschen wurde.               
(Foto um 1976 / Heimatmuseum)
 

2006 wurde auf der Südspitze des "Feldchens" mit der Wohnbebauung begonnen. Der Zahn der Zeit nagte am Feuerwehrhaus in der Waldstraße und so wurden erneut Pläne für einen Neubau gemacht. Auf einem gemeindeeigenen Grundstück an der Kläranlage wurde 2005 mit dem Neubau begonnen und 2007 das Gebäude der Feuerwehr übergeben. Das alte Feuerwehrhaus in der Waldstraße wurde 2008 abgerissen und machte Platz für weitere Wohnbebauung.

Heute (2014) ist die Fläche des Baugebietes "lm Feldchen", rund 3,3 ha, mit Wohn- und Geschäftshäusern vollständig bebaut. An die alte Zeit erinnert nur noch ein kleiner Teil der Original-Sandsteinmauer vom alten Friedhof, die im Zuge der Bebauung auch noch umgesetz wurde und nun neben der Pumpstation "Waldstraße" steht.

Erstellt vom Heimat- und Museumsverein Nauheim in Verbindung mit der Gemeinde Nauheim - Text: Lothar Walbrecht