Das Schicksal der jüdischen  Nauheimer zwischen 1933 und 1945

 

Eine Leseprobe aus der Dokumentation von Karl-Heinz Pilz

 

Schenni Strauss, wohnhaft in Nauheim, Rathausstr. 12.

Schenni Strauss wurde am 30.4.1880 in Astheim geboren. Sie diente als Hausangestellte, war ledig und wohnte mit ihrer Schwester Ida, geboren am 26.7.1883, in dem von ihrem Vater Abraham Strauss gekauften Haus Rathausstrasse 12 in Nauheim. Die beiden allein stehenden Schwestern hatten keinen leichten Stand und mussten viele Unannehmlichkeiten in Kauf nehmen. In den Jahren der Nazizeit waren sie oft Ziel des Spotts der Nauheimer Schulkinder. Ida Strauss, lebte vom Hausieren mit Stoffen, Wolle und anderen Kurzwaren. Sie soll, laut einer Notiz von Bernhard Engroff vom 12.7.1946, am 4.4.1935 in Nauheim verstorben sein. Im Jahre 1936 wurde das Haus Rathausstraße 12 an einen deutschen Käufer veräußert. Als die Eheleute Ludwig und Auguste Strauss, Bruder und Schwägerin von Schenni, im Dezember 1938 Deutschland Richtung USA verließen, bat vorher Ludwig Strauss die Eheleute Kaul, Vorderstraße 30, seine Schwester Schenni aufzunehmen. Dafür gab Herr Strauss den Eheleuten Kaul einen schönen Bild-Teller. Schenni Strauss wohnte dann in Nauheim im Haus Vorderstraße 30.

In den Jahren 1939 und 1940 wurden die Juden immer mehr überwacht und in größeren Städten in die so genannten "Judenhäusern" eingewiesen. Auch Schenni Strauss war davon betroffen. Sie musste 1939 von Nauheim nach Frankfurt in die Berger-Straße 15 ziehen. Danach wurde ihr eine Wohnung im Frankfurter Baumweg 23 zugewiesen.

Schenni Strauss stand auf der Deportationsliste für den zweiten "Umsiedlerzug", der am 11.11.1941 von Frankfurt nach Minsk/Weissrußland abgehen sollte. Morgens um 7 Uhr wurden die auf der Liste befindlichen Personen von SA-Leuten aus ihren Wohnungen geholt. Sie bekamen etwas Zeit, unter Aufsicht einige Sachen einzupacken und wurden dann durch die Stadt zu Fuß zur Großmarkthalle geführt, weil sie die öffentlichen Verkehrsbetriebe nicht benutzen durften, wo sie im Ostflügel für den Transport in den Osten vorbereitet wurden. Von der Großmarkthalle ging der Transport mit 1052 jüdischen Personen über den Frankfurter Ostbahnhof am Morgen des 12.11.1941 ins Ghetto von Minsk ab. Der Fahrweg des Zuges erfolgte über Berlin, Warschau, Bialystok, Wolkowysk und Baranowicze nach Minsk.

Nach der Ankunft in Minsk mussten die Eisenbahnabteile gereinigt werden, dann begann der Marsch in Begleitung von lettischer SS nach dem sieben km entfernten KZ, das kurze Zeit später aufgelöst wurde. Etwa 270 Personen aus dem Frankfurter Zug wurden bei der Auflösung des Ghettos getötet, weitere kamen bei der Verschleppung in andere Lager ums Leben. Auch Schenni Strauss muss unter den Toten gewesen sein. Ihr genaues Todesdatum ist allerdings weder im Bundesarchiv in Berlin, noch beim Internationalen Suchdienst in Bad-Arolsen bekannt. Nur zehn Personen dieses Zuges haben den Holocaust überlebt.



Heimat- und Museumsverein Nauheim         Der 9. November in der Deutschen Geschichte