Vor 400 Jahren wurde Nauheim geplündert.

Im 30jährigen Krieg (1618-1648) war das Jahr 1622 das einschneidenste für Nauheim. Von den marodierenden Truppen des Söldnerführers Peter Ernst II. Graf von Mansfeld (1580 - 1626) wurde das kleine Dorf bis (fast) auf den letzten Heller ausgeraubt. Der Ort hatte vielleicht 180 Einwohner, ca. 30 urkundlich nachgewiesene Hofreiten sind bekannt, erstreckte sich von der heutigen Vorderstraße und Hintergasse bis zur Mühlstraße und wurde vom Schwarzbach mit dem Dorfgraben umschlossen. Neben einem Schultheis gab es zwei Bürgermeister mit einjähriger Amtszeit.

Als privater Kriegsunternehmer in herrschaftlichem Auftrag war von Mansfeld in den Jahren 1620 – 1626 einer der führenden Söldnergenerale im Kampf gegen den habsburgischen Kaiser und dessen Verbündete (Spanien, Bayern und die Katholische Liga) und trug aus persönlichen Gründen wesentlich dazu bei, die Kämpfe zu einem europäischen Krieg auszuweiten. Mansfeld verkörperte den Typus des skrupellosen Söldnerführers und erschien als eine der negativsten Gestalten auf der politisch-militärischen Bühne. Die außerordentliche Verrohung des Kriegswesens während des 30jährigen Krieges bleibt mit seinem Namen verbunden.

Das Heer Ernsts von Mansfeld, der auf Seiten des Pfälzer Kurfürsten Friedrichs V. kämpfte, fiel in die Landgrafschaft Hessen-Darmstadt ein. Mansfeld forderte vom Darmstädter Landgrafen Ludwig V. die Herausgabe der Festung Rüsselsheim, was dieser ebenso verweigerte wie seinen Sohn als Geisel zu stellen. Bei Büttelborn wurde der Landgraf schließlich gefangen genommen. Die Truppen Mansfelds versuchten, sich mit denen Christians von Halberstadt zu vereinigen, doch schnitt ihm der katholische Feldherr Tilly bei Bensheim den Weg ab. Auf dem erzwungenen Rückzug steckten Mansfelds Leute vor Wut ganze Dörfer in Brand.

Die mansfeldischen Truppen richteten schwere Verheerungen an: So erwähnt z. B. das Kriegsschadensverzeichnis der Obergrafschaft Katzenelnbogen (Landgrafschaft Hessen-Darmstadt) für das Jahr 1622 einen Einfall Mansfelds nach Hessen-Darmstadt, das heutige Südhessen. Zahlreiche Städte und Dörfer – u. a. Langen, Darmstadt, Ober-Ramstadt, Nieder-Modau, Neunkirchen, Weiterstadt, Raunheim, Rüsselsheim, Büttelborn und Nauheim sowie noch andere Orte stehen auf der Schadensliste.

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Anfang Juni 1622 zogen Mansfelder Söldner in Nauheim, damals recht wohlhabend, ein und plünderten, was nicht niet- und nagelfest war. Dazu
gehörte in erster Linie das Vieh, also Pferde, Kühe, Kälber, Schweine und Hühner. Geld war noch begehrter, da für Geld alles zu haben war. In ein, zwei Tagen wurde die Gemeinde ausgeraubt. Die Nauheimer leisteten beim Einmarsch der Soldateska keine Gegenwehr und händigten ihre Gewehre ohne einen Schuss abzugeben den Söldnern aus. Auch das Brandschatzungsgeld von 344 Reichstalern wurde rasch übergeben, sodass die anderswo gemeldeten Brandschatzungen weitgehend ausblieben. Nur der Müller Mattheis Friderich zeigte wohl eine Gegenwehr und so wurde ihm die Scheune angezündet. Sie konnte jedoch in einer Löschkette mit Löscheimern zum Teil gerettet werden. Von Folterungen zur Erpressung von Geld und Wertsachen der Bürger kann nur in Einzelfällen berichtet werden. Hanß Kuhlmann wurde gefoltert, bis er das Versteck von 18 vergrabenen Reichstalern (heute etwa 350 €) preisgab. Dazu wurde er nackt ausgezogen, gewaltig gepeinigt und unter den Armen mit Fackeln gebrandmarkt. Hensel Raunheimer hängte man an einem Baum auf, bis er 16 Reichstaler aushändigte. In anderen Ortschaften waren die Folterungen viel grausamer. Viele, die die Quälereien überlebten, waren oft ihr ganzes Leben gezeichnet. Auch wurden Frauen vergewaltigt und junge Mädchen gewaltsam entführt.
 

Im Mansfelder Kriegsschadensverzeichnis sind die Plünderungen auf 15 Seiten aufgezeichnet. Die Verluste von 51 Bürgern wurden aufgelistet. Nachfolgend ein paar Auszüge: Johannes Jüngling wurden drei Kühe, zwei Kälber und vier Hühner geraubt. Dazu kam allerlei Hausrat und das Geschirr aus Zinn. Ebert Becker musste vier Pferde, drei Fohlen, 66 Reichstaler, fünf Malter Gerste und 12 Hühner abgeben. Enders Hilpert verlor zwei Pferde, ein Fohlen, eine Kuh, ein Kalb, zehn Gänse, zehn Hühner, je zwei Malter Korn und Mehl, vier Säcke, eine Muskete samt Zubehör, ein Rohr, Dörrfleisch, ein Deckbett sowie Kleidung und Tücher. Im Schadensverzeichnis sind das entwendete Vieh und die Wertgegenstände aufgelistet und zusätzlich in Reichstaler umgerechnet wiedergegeben.


Einfall Mansfelder Söldner in Nauheim

Eine Kuriosität ergab sich nach dem Abzug der Truppen. Der eine oder andere der beraubten Bürger folgte den Soldaten und löste einzelne Nutztiere, z.B. Pferde, wieder ein. Denn bares Geld war im Handel universeller handhabbarer als ein Stück Vieh. Diese Auslösungen eigener Pferde der Bürger Ebert Weicker, Hans Daum und Merten Beell sind im Schadensverzeichnis vermerkt.

Nach dem Abzug der Mansfelder Truppen bemühten sich die Nauheimer redlich um einen Neuanfang. Die Ernte war noch nicht eingebracht und viele Haustiere waren jahreszeitgemäß auf Feldern und in umliegenden Wäldern zur Weide und so den Requirierungen entgangen. Mit diesem Vieh wurde versucht, die Bestände wieder aufzubauen. Leider zogen immer wieder marodierende Truppen durch die Gegend, plünderten die Dörfer und drangsalierten die Bewohner. Die Zeiten waren streng und man bedurfte eines mächtigen Überlebenswillen.

Oftmals, wenn wieder durchmarschierende Soldaten angekündigt wurden oder Kampfhandlungen stattfanden, suchte die nahe Rüsselsheim lebende Bevölkerung Schutz in der Festung, wo eine drangvolle Enge herrschte. Haus und Hof blieben solange verwaist. Leider blieb nicht aus, was die Bevölkerungszahl drastisch reduzierte: die Pest. Im Jahre 1635 erreichte sie ihren Höhepunkt. Nauheimer Bewohner wurden dahingerafft. 1638, drei Jahre nach der Pest, war Nauheim fast menschenleer. Die Nauheimer Einwohnerentwicklung begann nachweisbar erst im Jahre 1677 mit 82 Einwohnern.


Quelle: Nauheimer Chronik I, Autor: Harald Hock, S. 228 ff