Rede von Bürgermeister Helmut Fischer zur Inbetriebnahme der
Ortskernentlastungsstraße Nauheim am 24.8.2002

 
Sehr geehrter Herr Staatsminister Posch, verehrte Abgeordnete und Ehrenbürger,
ein herzlicher Willkommensgruß auch an unseren ehemaligen Landtagsabgeordneten
Martin Schlappner, den Sprecher der Initiative "Pro Ostumgehung", Herr Landrat
Siehr, meine Damen und Herren der Straßenbauverwaltung, der beteiligten
Behörden, der am Bau tätigen Firmen, liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger!
 
In den Unterlagen unseren Archivs kann man nachlesen, dass bereits Ende der
20er Jahre des vorigen Jahrhunderts sich die Nauheimer Gemeindeväter, allen
voran unserer Alt-Bürgermeister Heinrich Kaul IV., Gedanken über die Schließung
des schienengleichen Bahnüberganges gemacht haben und eine Umgehung ins Auge
fassten, die über die Bahnlinie in Höhe der heutigen Dresdener Straße verlaufen
sollte. Die damalige Reichsbahn war von den Plänen weniger beigeistert und
antwortete sinngemäß: „.... diese Pläne sollten kommenden Generationen überlassen
werden ...“. Ob das der Grundstock für eine 75-jährige Phase war bis zur
Realisierung der Maßnahme, stelle ich in den Raum.  
 
Tatsache ist, dass bereits in den 50-er Jahren die Gemeinde Nauheim in ihrer
Bauleitplanung gewisse Bereiche in Bahnnähe von der Bebauung ausklammerte, um
die Option auf eine Überführung zu erhalten; dies betrifft besonders den Bereich
in Höhe Schillerstraße/Alte Mainzer Straße. Auch die Rüsselsheimer Straße wurde,
mit Aussicht auf eine Weiterführung als zukünftige Landesstraße im Jahre 1972
ausgebaut. Nach Abschluss der Rahmenvereinbarung und der Kreuzungsvereinbarung
zwischen den Beteiligten Bund, Land und Gemeinde gingen denn aber bis zum heutigen
Tag doch noch rund 30 Jahre ins Land. Ein wichtiger Teilabschnitt des Maßnahmenbündels
bestehend aus der Schließung des schienegleichen Bahnüberganges
Schleifweg, der Überführung Schillerstraße, der Bau der – wie sie damals genannt
wurde – Ostumgehung und die Schließung des schienengleichen Bahnüberganges
Bahnhofstraße durch den Bau der Radfahrer – und Fußgängerunterführung – war 1988
die Inbetriebnahme der Schillerbrücke und der ausgebauten Schillerstraße. Dieser
Zeitablauf, meine sehr verehrten Damen und Herren, zeigt die Gesamtproblematik
auf, die all jene trifft, die heute Straßen bauen. Und dies ist nicht nur eine
Frage der Finanzen, sondern des komplizierten Planungsrechts überhaupt. Ob wir
uns in der heutigen Zeit solche Jahrezehnte dauernden Entwicklungen noch leisten
können, mag dahin gestellt bleiben.
 
Die weitere Entwicklung vom Normenkontrollverfahren 1990 mit dem sich
anschließenden Baustopp, dem vorübergehenden, politisch motivierten, Ausstieg
des Landes aus dem Vorhaben im Jahre 1995, dem Bürgerentscheid im gleichen Jahr,
dem danach folgenden Bebauungsplanverfahren mit seinen begleitenden
Untersuchungen im Bezug auf die Verträglichkeit mit Umwelt – und Naturschutz,
die Verkehrsuntersuchungen, der Bebauungsplanbeschluss, das erneute Eilverfahren
zur Normenkontrolle über den Bebauungsplan und die letztendliche Entscheidung
des Verwaltungsgerichtshofes – dies alles zeigt die aufwändige Entwicklung,
viele Planungsvarianten, die Schriftsätze für das Gericht, Untersuchungen in
alle Richtungen sowie Tausende Arbeitsstunden von Parlament und Verwaltung. Und
in dieser ganzen Zeit haben die Bürgerinnen und Bürger in der vom
Durchgangsverkehr stark belasteten Bahnhofstraße, Königstädter Straße und vor
allem auch der Schillerstraße, dies recht klaglos hingenommen  - immer in der
Hoffnung, dass das Vorhaben noch zu einem guten Ende gelangt.
Nun ist es soweit! Ein historischer Tag für Nauheim und seine zukünftige
Entwicklung. Ein Erfolg der Bürgerinnen und Bürger und der Gemeinde Nauheim für
deren Beharrungsvermögen aber auch ein Erfolg des Landes Hessen, denn ohne
dessen Unterstützung, wäre die Ortskernentlastungsstraße niemals realisiert
worden.
Das Ergebnis liegt jetzt vor uns.                               BM Fischer und Minister Posch
 
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir haben in unserem Land immer noch
einen Bedarf an neuen Straßen, denn alle Prognosen gehen davon aus, dass der
Kraftfahrzeugverkehr weiter anwachsen wird - trotz Öko-Steuer und manchmal in
die Höhe schnellender Benzinpreise. So steigt der LKW-Verkehr, da auf diese
Weise mehr als zwei Drittel aller Güter transportiert werden. Und der
Personenverkehr nimmt zu, denn das eigene Auto ermöglicht es, so mobil und
flexibel zu sein, wie heute oft gefordert, und erfüllt zudem den Wunsch nach
individueller Freizeitgestaltung und Bequemlichkeit.

Man mag zu dieser Entwicklung stehen, wie man will - ein Politiker muss von dem
Zustand ausgehen, den er vorfindet. Auch wer für die Verlagerung des
Gütertransports auf die Schiene und ein Umsteigen auf öffentliche Verkehrsmittel
plädiert, muss einerseits sehen, dass sich das nicht von heute auf morgen
erreichen lässt, und sich deshalb andererseits dafür einzusetzen, die bestehende
Verkehrslage zu verbessern. Und die Ortskernentlastungsstraße ist ja im
eigentlichen Sinne keine Ortsumgehung, sie ist vielmehr ein Teilabschnitt der
Schließung der schienengleichen Bahnübergänge, der jetzt noch der Bau der
Radfahrer – und Fußgängerunterführung folgen wird. Mit der Schließung der
schienegleichen Bahnübergänge auf allen wichtigen Strecken verfolgt die Bahn das
Ziel, die Voraussetzungen für den Öffentlichen Personennahverkehr, aber auch der
Güterverkehr auf der Schiene zu verbessern. Je optimaler diese Voraussetzungen
sind, um so eher kann die Bahn auch mit der Konkurrenz des Autos oder des Lkw´s
mithalten.

Die Verlagerung des Durchgangsverkehrs aus der Ortsmitte versetzt uns aber auch
in die Lage, die Rahmenbedingungen für den innerörtlichen Geschäftsbereich zu
verbessern. Mehr Parkplätze für die Besucher, eine geänderte
Wohnumfeldgestaltung, eine Sicherung des Schulweges, verbesserte Bedingungen für
Fußgänger und Radfahrer, sind nur einige Gesichtspunkte. Und natürlich führt
jetzt an der neuen Ortsmitte, die in den nächsten Monaten entstehen wird, eine
Erschließungsstraße vorbei, die diesem Namen auch Ehre macht und nicht am
Feldesrand abrupt endet. Mit der teilweisen geänderten Führung der Buslinien
haben jetzt auch die Bewohner von Alt-Nauheim erstmals eine wohnungsnahe
Bushaltestelle in der Straße „Im Rod“. Diese innerörtliche Tangente ist auch
Garant dafür, dass von der Ortskernentlastungsstraße her der innerörtliche
Geschäftsbereich bequem zu erreichen ist. Und sämtlicher Verkehr Richtung
Groß-Gerau und Darmstadt wird jetzt ohne Behinderungen über die neue Straße
abfließen können. Sozusagen als willkommenes „Nebenprodukt“ der neuen Planung
wird die Gemeinde in dem Bereich zwischen Dresdener Straße und
Ortskernentlastungsstraße ein neues Gewerbegebiet ausweisen können.
Straßen, meine sehr verehrten Damen und Herren, sind kein Selbstzweck. Sie
stellen Verbindungen her, Verbindungen zwischen Menschen, Orten und Ländern. Sie
erschließen Wirtschaftsräume und tragen damit auch zur ökonomischen Entwicklung
einer Region bei. Straßen erfüllen wichtige Funktionen, sie lösen allerdings auch
Interessengegensätze aus. Den Anforderungen, die Verkehr und Wirtschaft stellen,
stehen manches Mal die Belange des Umweltschutzes und der Erhaltung von
Landschaftsräumen gegenüber. Den Interessen und der Lebensqualität der
Bürgerinnen und Bürger dient ein gut ausgebautes Verkehrsnetz, das für
Einzelpersonen wie die Wirtschaft eine schnelle Beförderung von Ort zu Ort
gewährleistet und damit zu einem hohen Lebensstandard beiträgt - doch den
Interessen und der Lebensqualität der Bürgerinnen und Bürger entspricht auch
eine intakte beziehungsweise lärm- und abgasfreie Umwelt und der Erhalt von
Erholungsräumen.

Bei der Planung dieser Umgehungsstraße wurde darauf geachtet, all diese
Gesichtspunkte zu berücksichtigen und die unterschiedlichen Interessen
abzuwägen. Auf diesem Weg sind wir, wie ich wohl sagen darf, zu einer
ausgewogenen Lösung gelangt.

Deshalb möchte ich an dieser Stelle allen danken, die sich für das Projekt
eingesetzt haben und die an der Planungs- und Bauphase beteiligt waren. Ich
freue mich, dass wir die Ortskernentlastungsstraße heute ihrer Bestimmung
übergeben können. Ich wünsche allen, die sie künftig nutzen, eine gute und vor
allem unfallfreie Fahrt.  

 

Zur Übersichtsseite zurück