20 Jahre „Ostumgehung"

 

„Die 1,8 km lange Ostumgehung Nauheim wird als Landesstraße gebaut“, dies sagte Wirtschafts- und Verkehrsminister Dieter Posch am 23.3.2000 beim ersten offiziellen Spatenstich zur Wiederaufnahme der Bauarbeiten. Die Vorgängerregierung hatte aus ideologischen Vorbehalten eine Durchführung als Landesstraßenmaßnahme abgelehnt. Angefangene Bauwerke waren deshalb als Torso in der Landschaft stehen geblieben. Für die Ortsumgehung Nauheim seien allein drei Brückenbauwerke notwendig, um die Bahnanlagen, den Schwarzbach und den Grünen Weg zu queren. Mit 7 Meter Fahrbahnbreite und 1,5 Meter Bankett ergibt sich ein 10 Meter breiter Straßenquerschnitt. Die Kosten für die Gesamtmaßnahme, die im Südwesten an die L 3482 anbindet, dann im Osten in einem Bogen um Nauheim verlaufe und schließlich in die Rüsselsheimer Straße einmünde, betrugen rund 16 Millionen Mark
(einschl. 1 Mio. DM Verwaltungs- und 0,8 Mio. DM Grunderwerbskosten). Sie werde nach dem Eisenbahnkreuzungsgesetz von Land, Bund und Deutsche Bahn AG zu je einem Drittel getragen. Eine daraus resultierende Differenz von 95.000 DM hatte die Gemeinde zu übernehmen.

Nach rund vierzigjähriger Planungszeit, einem Baustopp von einem Jahrzehnt, wurde die sog. "Ostumgehung", die "Verkehrsentlastungsstraße im Osten Nauheims", also die Verlängerung der Rüsselsheimer Straße oder L 3040 (neu) fertig gestellt und dem Verkehr übergeben.

Nach der "Kreuzungsvereinbarung" von 1989 zwischen der Bundesrepublick Deutschland, dem Land Hessen, der Deutschen Bahn AG und der Gemeinde Nauheim zur Beseitigung der "schienengleichen Bahnübergänge" in Nauheim ist ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Vertragswerk erfüllt worden.

Der Hessische Minister für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung, Dieter Posch (FDP), hat am 24.8.2002 um 14.15 Uhr mit Repräsentanten aus Politik, Behörden und Handwerk, sowie der Nauheimer Bürgerschaft, die Straße für den Verkehr frei gegeben. Wie in Nauheim so üblich, wurde dieses Ereignis gebührend gewürdigt.

In den Unterlagen des Gemeindearchivs kann man nachlesen, dass bereits Ende der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts sich die Nauheimer Gemeindeväter, allen voran Alt-Bürgermeister Heinrich Kaul IV., Gedanken über die Schließung des schienengleichen Bahnüberganges gemacht haben und eine Umgehung ins Auge fassten, die über die Bahnlinie in Höhe der heutigen Dresdener Straße verlaufen sollte. Die damalige Reichsbahn war von den Plänen weniger beigeistert und antwortete sinngemäß: „.... diese Pläne sollten kommenden Generationen überlassen werden ...“.

Tatsache ist, dass bereits in den 50er Jahren die Gemeinde Nauheim in ihrer Bauleitplanung gewisse Bereiche in Bahnnähe von der Bebauung ausklammerte, um die Option auf eine Überführung zu erhalten. Dies betrifft besonders den Bereich in Höhe Schillerstraße/Alte Mainzer Straße. Auch die Rüsselsheimer Straße wurde, mit Aussicht auf eine Weiterführung als zukünftige Landesstraße im Jahre 1972 ausgebaut. Nach Abschluss der Rahmenvereinbarung und der Kreuzungsvereinbarung zwischen den Beteiligten Bund, Land und Gemeinde gingen doch noch rund 30 Jahre ins Land. Ein wichtiger Teilabschnitt des Maßnahmenbündels, bestehend aus der Schließung des schienengleichen Bahnüberganges Schleifweg, der Überführung Schillerstraße, der Bau der Ostumgehung und die Schließung des schienengleichen Bahnüberganges Bahnhofstraße durch den Bau der Radfahrer– und Fußgängerunterführung, war 1988 die Inbetriebnahme der Schillerbrücke und der zurückgebauten Schillerstraße. Dieser Zeitablauf zeigt die Gesamtproblematik auf, die all jene trifft, die heute Straßen bauen. Und dies ist nicht nur eine Frage der Finanzen, sondern des komplizierten Planungsrechts überhaupt.

Die weitere Entwicklung vom Normenkontrollverfahren 1990 mit dem sich anschließenden Baustopp, dem vorübergehenden, politisch motivierten Ausstieg des Landes aus dem Vorhaben im Jahre 1995, dem Bürgerentscheid im gleichen Jahr, dem danach folgenden Bebauungsplanverfahren mit seinen begleitenden Untersuchungen im Bezug auf die Verträglichkeit mit Umwelt– und Naturschutz,

die Verkehrsuntersuchungen, der Bebauungsplanbeschluss, das erneute Eilverfahren zur Normenkontrolle über den Bebauungsplan und die letztendliche Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofes – dies alles zeigt die aufwändige Entwicklung, viele Planungsvarianten, die Schriftsätze für das Gericht, Untersuchungen in alle Richtungen sowie Tausende Arbeitsstunden von Gemeindevertretung und Verwaltung. Und in dieser ganzen Zeit haben die Bürgerinnen und Bürger in der vom Durchgangsverkehr stark belasteten Bahnhofstraße, Königstädter Straße und vor allem auch der Schillerstraße, dies recht klaglos hingenommen - immer in der Hoffnung, dass das Vorhaben noch zu einem guten Ende gelangte.

Eine Grundlage dieser Staßenbaumaßnahme war die innerörtliche Verkehrsbelastung in den 90er Jahren. Beim Nauheimer Binnenverkehr zählte man 890 Kfz/16 Std. Der Quell- und Zielverkehr betrug 10.955 Kfz/16 Std. und der Durchgangsverkehr beschränkte sich auf 1.797 Kfz/16 Std. Nur 13 % davon waren ortsfremder Verkehr.

Betrachtet man nach zwanzig Jahren das sich dahin schlängelnde Band dieser doch stark befahrenen Straße von der Brücke "Grüner Weg" aus, so fällt das abwechslungsreiche Grün beiderseits der Fahrbahnen auf. Bäume, Büsche und Wiesen bilden die ökologischen Ausgleichsmaßnahmen zu diesem Eingriff auf den früheren Ackerflächen. Erfreulich auch, dass nach den drei Trockenjahren 2018, 2019 und 2020 kaum etwas vertrocknet ist. Die ehemals hervorragenden Ackerböden der Ackerwertzahl (Bodengüte) 110 (sehr gut) tun wohl ihr Übriges zum Erhalt dieser „grünen Lunge“.

Dieser „Grüngürtel“ wäre nicht vorhanden, wenn die Ortskernentlastungsstraße zwanzig Jahre füher ohne die Einwände gebaut worden wäre. Denn damals waren kaum ökologischen Ausgleichsmaßnahmen erforderlich. Erst durch die juristischen Einsprüche und einem neuen Planungsverfahren, dessen B-Plan-Entwurf von Oktober 1996 und seiner Änderung vom April 1998, ergaben sich Forderungen nach 9,8 ha Kompensationsmaßnahmen. Die Biotopwertliste umfasste Streuobstwiesen, straßenbegleitende Hecken- und Gebüschpflanzen, naturnahe Grünlandausaat sowie standortgerechte Baumreihen, bestehnd aus Erlen, Sommerlinden u.a. Die Bewertung des Landschaftsbildes zu vor der Staßenbaumaßnahme und nachher ergab eine Biotopwertdifferenz von über 600.000 Wertpunkten, die auszugleichen waren. Bei der Bewertung des Landschaftsbildes wurden 45 Vogelarten, wie Sperber, Türkentaube, Zaunkönig, Wacholderdrossel u.a. ermittelt. Weiterhin sieben Säugetierarten, beispielsweise Igel, Wildkaninchen, Feldmaus und eine Reptilienart, die Zauneidechse.

Das im Bebauungsplan „Verkehrswichtige Straße im Osten Nauheims" betroffene Gebiet wird begrenzt vom Schwarzbach und der bebauten Ortslage im Osten, der L 3482 im Süden, dem Waldwiesengraben im Osten und der Berzallee im Norden. Nach der Inanspruchnahme der landwirtschaftlich genutzten Fächen im dortigen Gebiet für die Straße und die Ausgleichsflächen, musste bei einer zähen und langwierigen Flurbereinigung, die nicht bei allen Betroffenen zufriedenstellend endete, für Ersatzgrundstücke gesorgt werden. Straße und ökologische Ausgleichsflächen befinden sich nun überwiegend im Landesbesitz.

Leider wurden etwa zehn Jahre nach der Verkehrsfreigabe erhebliche Staßenschäden festgestellt. „Hessen-Mobil" als Straßenbauträger hatte wohl das starke Verkehrsaufkommen unterschätzt und eine zu geringe Tragschicht geplant. So wurden sehr viele Teilflächen im Jahre 2010 erneuert und die L 3040 (neu) wurde zu einem regelrechten „Flickenteppich".

 

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