"Kultur in Bewegung - Handel, Reisen und Verkehr"

 

Presseberichterstattung   

Flitzende Eisenbahnen entsetzten Nachbarn der Nauheimer

Der Nauheimer Bahnhof stand am Wochenende gleich zwei Mal im Blickpunkt. Erst hielt am Samstag ein Sonderzug im Bahnhof und sorgte für Leben auf dem Bahnsteig (wir berichteten), dann öffnete der Kinder- und Jugendkulturbahnhof „X-presso“ am Sonntag seine Türen und lud zum Rundgang beim „Tag des offenen Denkmals“ ein. In Trebur waren Laurentiuskirche und Pfalz für eine Führung geöffnet.

Der Heimat- und Museumsverein Nauheim hatte viel Arbeit in die Präsentation des Bahnhofs gesteckt. Wo früher Warteraum, Gepäckabgabe und Fahrkartenausgabe untergebracht waren und sich heute der Kinder- und Jugendtreff befindet, gab es eine kleine Ausstellung von Thomas Mroczek. Außerdem wurde zu Kaffee und Kuchen eingeladen. Mroczek hatte Kursbücher, Reiseprospekte und Pläne aus den fünfziger Jahren beigesteuert. Außerdem lobte er den Bahnhof, der inzwischen der am besten erhaltene im ganzen Kreisgebiet sei.

Vor dem Bahnhof hatte sich eine Gruppe der Veteranenabteilung des RV Opel eingefunden. Gemäß dem Motto des bundesweiten Denkmaltages „Kultur in Bewegung - Reisen, Handel und Verkehr“ fuhren sie auf Hochrädern herum und hatten auch ein paar historische Rennräder dabei.

Eine Kutsche stellte die Verbindung zum Heimatmuseum in der Schulstraße her. Dort wartete Lothar Walbrecht in der Remise auf Besucher. Im Mittelpunkt standen hier der frühere Leichenwagen der Gemeinde, der von Pferden gezogen wurde, und eine fahrbare Säge. Leider hatte es der Verein nicht hinbekommen, die Säge von 1912 in Betrieb zeigen zu können, bedauerte Walbrecht. Dies sei aber für spätere Termine festes Ziel. Immerhin war das Fahrzeug bis 1992 in Betrieb.  

Im Bahnhofsgebäude lud Hans Joachim Brugger zu drei Führungen mit rund 50 Besuchern ein. Es wurde 1882 gebaut und 1910 erweitert. Die Bahnstrecke Mainz-Aschaffenburg mit Halt in Nauheim wurde 1858 eröffnet.

Brugger hatte seine Führung nicht nur mit Fakten, sondern auch kleinen Anekdoten angereichert. So sicherten sich die Nauheimer den Halt durch eine Grundstücksschenkung. Von den Treburer Nachbarn wird dagegen erzählt, sie hätten damals Angst vor den „gesundheitsgefährdend schnell“ durch die Gemarkung rasenden Zügen gehabt und die Bahn den Nauheimern „auf den Hals“ gewünscht.

Nachdem die Bahn immer weniger Wert auf ihre Gebäude legte, wurde 1993 das Gebäude von der Gemeinde für insgesamt 1,6 Millionen D-Mark gekauft und umgebaut. Er bietet heute der Sport- und Jugendpflege ihren Sitz. Der Name „X-presso“ soll dabei an den Ursprung als Bahnhof (das X steht für das Verkehrsschild „Andreaskreuz“, presso für Espresso oder Express) und an die neue Aufgabe als Jugendtreff erinnern.

Quelle: Main-Spitze vom 14.9.2010 — Autor: Detlev Volk

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Tag des offenen Denkmals: »Modernes Zeugs« stößt auf Ablehnung
Ein Bahnhof war früher nicht von allen gewollt: Treburer wehrten sich mit aller Kraft



Aufgeklappt: Die Bahn-Geschichte wurde am Denkmaltag illustriert in einer Ausstellung von Sammelstücken
aus dem Besitz von Thomas Mroczek. Foto: Rainer Beutel


Angeblich sollen die Treburer im 19. Jahrhundert den Nauheimern »die Bahn an den Hals gewünscht« haben, weil dieses »moderne Zeugs« gefährlich sei. Ob die Anekdote, wie sie am Sonntag beim »Tag des offenen Denkmals« verbreitet wurde, stimmt, lässt sich allerdings nicht überprüfen.

Nauheim wurde 1858 auf gerader Strecke zwischen Darmstadt und Bischofsheim an die Gleise der Hessischen Ludwigsbahn angeschlossen. 1882/83 erhielt die Gemeinde ihren Bahnhof. Zumindest diese Fakten sind unumstößlich. Am Sonntag waren sie der Aufhänger für eine wahre Informationsflut während des »Tags des offenen Denkmals«, bei dem sich unter dem Motto »Kultur in Bewegung - Handel, Reisen und Verkehr« fast alles um den Bahnhof drehte.

Hans Joachim Brugger vom Heimat- und Museumsverein und Thomas Mroczek, Mitglied in verschiedenen Fahrgastbeiräten, boten Führungen an. Darüber hinaus wurden die Neugierigen zur Besichtigung einer fahrenden Sägemaschine und eines historischen Leichenwagens in der Museumsremise eingeladen. Ebenfalls angekündigt hatte sich der Rüsselsheimer Opel-Radfahrerverein. Auf einer vom Traktor gezogenen Rolle konnten sich Besucher durch den Ort kutschieren lassen.

Mroczek zeigte Aufnahmen, die dokumentierten, dass das Sandsteingebäude des Bahnhofs früher außerhalb des Orts lag, weil die Bebauung noch nicht so weit reichte. Erst nach 1960 wurde das Gebiet jenseits der Bahn erschlossen. Deutlich älter waren Aufnahmen von Lokomotiven der damaligen Zeit und der originale Bauplan des Bahnhofs, der in einer Vitrine geschützt blieb.

Brugger berichtete, wie es zu dem Bau kam, welche maßgebliche Rolle Großherzog Ludwig spielte und was die Nauheimer leisteten, um in den Genuss des Bahnanschlusses zu kommen - so war ein nicht unerhebliches Stück Wald an das Großherzogtum abzutreten. Brugger und Mroczek dokumentierten, wie die Bedeutung der Station wuchs, als sich in direkter Nachbarschaft die »Starkenburger Obst- und Gemüse Absatzgenossenschaft« (Stoga) niederließ und eine Halle errichtete. Bald darauf sei der Bahnhof ein großer Umschlagsplatz gewesen. Bis zu 30 Leute waren dort im Schichtbetrieb beschäftigt, fand Brugger bei Recherchen heraus, während Mroczek in einer mit Bahnutensilien gespickten Ausstellung die Illustrationen beisteuerte. »Bahn und Stoga waren eine Symbiose«, betonte der Bahnexperte.

Um den Themenkomplex »Reisen« zu berücksichtigen, erinnerte Mroczek an den Luxuszug »Rheingold«, der einst auf der Strecke an Nauheim vorbei verkehrte. »Eine Laune des Fahrplans wollte es, dass sich die beiden Rheingold-Züge mittags um 14.15 Uhr in der Nauheimer Gemarkung begegneten«, erzählte er. Vom Eisenbahnerfotograf Carl Bellingrodt präsentierte Mroczek eine Fotografie, die den »Rheingold« am 15. Mai 1931 gut 800 Meter nördlich des Nauheimer Bahnhofs zeigt. In alten Koffern zeigte der Sammler historische Fahrpläne, Kursbücher und Bahnbroschüren.

Die jüngere Vergangenheit blieb ebenfalls nicht unbeachtet. Nachdem die Stoga-Halle abgerissen war und der Handel mit Obst und Gemüse in der Gemeinde nachgelassen hatte, habe der Bahnhof sukzessive an Bedeutung verloren, hieß es. 1996 habe es nur noch einen Bediensteten gegeben, erinnerte sich Brugger. 1993 erwarb die Kommune das Gebäude für rund 240 000 Mark und baute es 1998 zum Jugend- und Kulturbahnhof Xpresso um.

Brugger und viele andere lobten den guten Zustand, der sich von anderen Bahneinrichtungen gleichen Alters angenehm unterscheide. Und die Bahn samt Bahnhof werden die Nauheimer getreu der Treburer Verwünschungen noch lange »am Hals« haben: »Wir haben hier fast zwei Meter dicke Grundmauern«, sagte Brugger.

Quelle: Rüsselsheimer Echo vom 14.9.2010 — Autor: Rainer Beutel

 
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