Marie Jany – Die erste Gemeinderätin der Gemeinde Nauheim
und ihr Weg in den Gemeinderat


Ein Beitrag von Lothar Walbrecht

Vor 100 Jahren wurde das Frauenwahlrecht in Deutschland eingeführt. Im Reichswahlgesetz           
vom 30. November 1918 heißt es in § 2: „Wahlberechtigt sind alle deutschen Männer und
Frauen, die am Wahltag das 20. Lebensjahr vollendet haben.“ Zum ersten Mal durften Frauen
wählen und gewählt werden.

Dennoch musste die Nauheimer Bevölkerung auf ein weibliches Gemeinderatsmitglied noch
lange warten. Erst nach dem 2. Weltkrieg hatten die Bürger die Gelegenheit, eine weibliche
Kandidatin für das Ortsparlament zu wählen: Eine Heimatvertriebene aus dem Sudetenland,
die sich für einen Sitz im Nauheimer Ortsparlament bei der Kommunalwahl am 25. April 1948
aufstellen ließ.

Marie Jany, geb. Prokesch, wurde am 6. April 1891 in Schoberstädten, Kreis Krumau im
Kaiser- und Königreich Österreich-Ungarn geboren. Die Tochter von Peter und Theresia
Prokesch, geb. Baier, heiratete am 17. August 1914
Franz Jany in Schreckenstein bei Aussig.1

Nach dem verheerenden 1. Weltkrieg veränderte sich das Bild Mitteleuropas. Das Kaiser- und
Königreich Österreich-Ungarn gab es nicht mehr. Mit den Verträgen von Saint-Germain
(1919) und Trianon (1920) wurden die völkerrechtliche Anerkennung der neuen Staaten
Österreich, Ungarn, Polen, der Tschechoslowakei, des Königreiches der Serben, Kroaten und
Slowenen sowie die Gebietsabtretungen an Italien und Rumänien bestätigt.
Marie Jany lebte nun mit ihrem Mann und ihren Kindern Franz (geb. 1911), Paula (geb.
1913) und Alois (geb. 1915) als Deutschsprachige im sogenannten Sudetenland des neu
entstandenen Staates Tschechoslowakei. Das Sudetenland war einer gebräuchlichen
Bezeichnung nach ein nicht zusammenhängendes Gebiet entlang der Grenzen der
Tschechoslowakei zu Deutschland und Österreich, in dem überwiegend „Deutsche“ lebten.
Nach dem Münchener Abkommen, das am 30. September 1938 abgeschlossen worden war,
wurde die Eingliederung des Sudetenlandes in das Deutsche Reich in den Folgetagen
militärisch vollzogen. Nun lebte die Familie Jany wieder im Deutschen Reich. Die
wechselvolle Geschichte endete nach der Kapitulation des Deutschen Reiches am 8. Mai 1945.

Für die deutsche Bevölkerung begann ab Januar 1946 die Enteignung und Abschiebung aus
der Tschechoslowakei. Auch die Familie Jany war betroffen: Sie wurde abgeschoben. Familie
Jany gehörte zum Hauptstrom der im Sommer 1946 in Nauheim eintreffenden
sudetendeutschen Vertriebenen. Hatte die Gemeinde Nauheim 1945 noch 2.761 Einwohner2,
waren es bereits im Dezember 1946 weitere 626 Personen – davon 565 sudetendeutsche Heimatvertriebene3.

Marie Jany und ihr Mann Franz meldeten sich am 26. Juni 1946 in Nauheim an4 und
bekamen einen Wohnraum in der Bahnhofstraße 37 zugewiesen.5
Die Masse an Neubürgern musste die landwirtschaftlich geprägte Gemeinde erst einmal             
bewältigen. Innerhalb kürzester Zeit musste Wohnraum in Nauheim requiriert werden, was
eine große Herausforderung für die kleine Gemeinde darstellte. Um diese zu bewältigen,
wurde eine Wohnungskommission gebildet. Marie Jany wurde ab Oktober 1946 das erste
Mal als Mitglied dieser Wohnungskommission geführt. Auch bei der Neuwahl der Mitglieder
der Wohnungskommission am 4. Januar 1947 ließ sich Marie Jany für die SPD aufstellen.6
Ihr Durchbruch als Kommunalpolitikerin kam mit der Einreichung von Wahlvorschlägen für
die Kreis- und Gemeindewahl am 25. April 1948. Marie Jany stand an achter Stelle der von
der SPD eingereichten Liste. Nach der Wahl am 25. April 1948 entfielen auf die einzelnen
Wahlvorschläge folgende Sitze:
Wahlvorschlag 1 SPD                                                                     7 Sitze
Wahlvorschlag 2 CDU                                                                     3 Sitze
Wahlvorschlag 4 KPD                                                                     1 Sitz
Wahlvorschlag 5 Freie Demokratische Wählergruppe                    4 Sitze

Die Sitze wurden auf die folgenden Personen verteilt: 7
SPD
· Karl Genthner
· Friedrich Daum
· Franz Hafner
· Georg Schad IV.
· Philipp Poth IV.
· Wilhelm Eisenhauer
· Georg Diehl VII.
CDU
· Christian Nink
· Georg Wilhelm Mischlich
· Hubert Jörka
KPD
· Fritz Förster
Freie Demokratische Wählergruppe
· Heinrich Kaul IV.
· Karl Gerlach
· Karl Klier
· Franz Dammel

Die anschließende Bürgermeisterwahl wurde zunächst auf den 23. Juni 1948 festgelegt.
Jedoch beantragten acht Gemeinderatsmitglieder eine Aufhebung des
Gemeinderatsbeschlusses vom 31. Mai 1948. In Bezug auf die Punkte 2 „Wahl
Bürgermeister“ und 3 „Wahl Beigeordneter“ bestand noch Unklarheit, ob die
Bürgermeisterkandidaten mitstimmen durften. Da die Kreisverwaltung dies bestätigte,
fand die Bürgermeisterwahl am 9. Juni 1948 statt.8

Als Bürgermeisterkandidaten standen Wilhelm Berz von der CDU und Georg Schad IV. von
der SPD zur Wahl. Georg Schad IV. setzte sich mit acht zu sieben Stimmen durch. Auch bei
der Wahl des Beigeordneten konnte Fritz Förster von der KPD acht Stimmen auf sich
vereinen. Peter Ackermann VIII. unterlag bei der Wahl.

Da nun zwei Gemeinderäte als Bürgermeister bzw. Beigeordneter gewählt wurden, rückten
Marie Jany von der SPD sowie Georg Lämmersdorf II. von der KPD in den Gemeinderat
nach. Am 25. Juni 1948 wurden die beiden nachgerückten Kandidaten in der
Gemeinderatssitzung verpflichtet. Marie Jany wurde so die erste weibliche Gemeinderätin in
dem von Männern dominierten Ortsparlament.

Auch bei der nächsten Kommunalwahl stand Marie Jany auf der
Liste der SPD für die Wahlvorschläge an achter Stelle.9 Die
Wahl fand am 4. Mai 1952 statt. Nach Überprüfung durch den
Wahlausschuss entfielen auf die einzelnen Wahlvorschläge folgende Sitze:10
Sozialdemokratische Partei Deutschland                                               9 Sitze
Kommunistische Partei Deutschland                                                      0 Sitze
Freie Wählervereinigung Nauheim                                                         3 Sitze
Unparteiische Nauheimer Wählergruppe                                                1 Sitz
Unpolitische Wählervereinigung der Heimatvertriebenen Nauheim       2 Sitze

Diesmal wurde Marie Jany aufgrund des Wahlergebnisses direkt in das Ortsparlament der
Gemeinde Nauheim gewählt.
Bei der nächsten Gemeindevertretersitzung am 26. Mai 1952 übernahm Marie Jany als
ältestes Mitglied der Gemeindevertretung bis zur Durchführung der Wahl des Vorsitzenden
der Gemeindevertretung, die Leitung. Vorgeschlagen wurde Gemeindevertreter Georg Engel
(SPD), der einstimmig gewählt wurde.11

Ihre politische Karriere endete plötzlich und unerwartet. Marie Jany verstarb nach kurzer
schwerer Krankheit am 27. Oktober 1953 im Groß-Gerauer Krankenhaus.
Seit 1987 erinnert der „Marie-Jany-Weg“, ein Fußweg zwischen den Wohngebieten
„Ochsengrund“ und „Wolfsberg“, an die erste Gemeinderätin der Gemeinde Nauheim.


Quellen:
1 Gemeindearchiv Nauheim: Abteilung XVIII. Konvolut 9, Faszikel 3
2 Einwohnerstatistik Gemeinde Nauheim
3 Gemeindearchiv Nauheim: Abteilung XI., Konvolut 4, Faszikel 5
4 Anmelderegister der Gemeinde Nauheim 1945 – 1950
5 Gemeindearchiv Nauheim: Abteilung XVIII. Konvolut 9, Faszikel 3
6 Gemeindearchiv Nauheim: Abteilung XV. Konvolut 13, Faszikel 7
7 Gemeindearchiv Nauheim: Abteilung XV. Konvolut 6, Faszikel 7
8 Gemeindearchiv Nauheim: Abteilung XV. Konvolut 2, Faszikel 14
9 Gemeindearchiv Nauheim: Abteilung XV. Konvolut 7, Faszikel 2
10 Gemeindearchiv Nauheim: Abteilung XV. Konvolut 7, Faszikel 3
11 Gemeindearchiv Nauheim: Abteilung XV, Konvolut 7, Faszikel 1