Motto 2013:  "Jenseits des Guten und Schönen: Unbequeme Denkmäler? "

Nauheimer Kriegerdenkmal von 1870/71

Preußische Siegerdenkmäler

Um 1871 begann eine für uns in der heutigen Zeit nur schwer nachvollziehbare Epoche; Deutschland als größtes und wirtschaftlich stärkstes Land Europas zeigte stolz auf seine militärischen Traditionen, die sich, mit Friedrich dem Großen beginnend, über die Befreiungskriege gegen Napoleon gradlinig bis 1870/71 fortsetzten. Diesen Stolz auf die eigene Leistung, auf Preußens Militär und Gloria, den Beginn des neuen Aufbruchs, einer neuen Epoche, verkörpern auf eindringliche Art und Weise diese Kriegerdenkmäler; deshalb sind sie so einzigartig, man könnte ergänzen, auch in ihrer Eigenschaft als preußische „Kultur-Denkmäler".

Es ist somit das erste Mal in unserer gesamten Kulturgeschichte, dass quer durch den gesamten deutschen Raum, vom Elsass bis Ostpreußen, flachendeckend diese einheitlichen Denkmäler entstehen, die nicht, wie bisher, nur auf lokale, sondern auf nationale Ereignisse hinweisen; deshalb gibt es auch keine spezifisch hessischen oder sächsischen Kriegerdenkmäler.

Den Wunsch, erfolgreiche Taten in Stein zu meißeln, um sie der Nachwelt zu erhalten, verdeutlichen auch heute noch viele antike Krieger- bzw. Siegesdenkmäler. Sie bestanden bereits bei den Griechen und Römern aus den drei klassischen Teilen: Fundament, Sockel und Aufbauten in Form eines Obelisken oder einer Säule; im Westen Deutschlands beispielsweise kennen wir die römischen Jupitersäulen. Seit Jahrhunderten hat sich hier nicht viel geändert. In unserem Falle tragen die Denkmäler die typisch preußischen Trophäen, vor allem den Preußenadler (Sinnbild für die Einheit des Reiches), das Eiserne Kreuz und Symbole des Krieges.

Eines der beeindruckendsten Siegesdenkmäler, das Niederwalddenkmal bei Rüdesheim, steht in Hessen. Seinen Dimensionen nach eines der größten Denkmäler des 19. Jahrhunderts in Deutschland, besonders verziert mit Reliefszenen über die Reichsgründung und mit vielen Details, die auch bei späteren Denkmälern wiederkehren und vielen Bildhauern als Vorlagen und Anregungen dienten. Das am 28. September 1883 eingeweihte, von dem Bildhauer Johannes Schilling und dem Architekten Karl Weißbach gestaltete, hochaufragende, weithin sichtbare Denkmal oberhalb des Rheines markierte eine neue Stufe in der Denkmalskunst und erweist sich auch heute, noch als Publikumsmagnet.

Spontan könnte man meinen, es gäbe in Hessen für 1870/71 noch unzählige Kriegerdenkmäler. Dies täuscht jedoch und trifft nur für die beiden Weltkriege zu. Zum einen sind bereits fast 135 Jahre vergangen, zum anderen gab es um 1850, als die betroffenen Männer geboren wurden, viele Stadtteile bzw. Orte noch nicht. Ferner wurden

 etliche dieser Kriegerdenkmäler zerstört, abgebrochen oder nicht mehr aufgestellt, wenn es um die Neugestaltung von Plätzen ging. Besonders in den fünfziger und sechziger Jahren, noch ganz unter dem Einfluss der jüngsten deutschen Geschichte, wurde leider nicht differenziert, weshalb heute nur noch rund 120 von ursprünglich etwa 200 hessischen Denkmälern für 1870/71 erhalten geblieben sind. Weniger in kleineren Gemeinden, sondern vor allem in den größeren Städten hielt man nichts von diesen historischen Kulturgütern oder deren Renovierung.

Wie lassen sich die Denkmäler von 1870/ 71 klassifizieren? Die mit Abstand größte Gruppe sind Obelisken mit oder ohne Preußenadler. Man trifft sie vor allem in kleineren Orten, denn die Herstellung in dieser Einheitsform war billig und erforderte keinen großen Aufwand. Errichtet aus rötlichem Sandstein wurden sie meist von lokalen Steinmetzen angefertigt.
Oft stand auf der Vorderseite: „Gott war mit uns, Ihm sei die Ehre". Darüber befind sich das Eiserne Kreuz im Lorbeerkranz, auf der linken und rechten Seite standen die Namen der Gefallenen und von anderen Kriegsteilnehmern (Kombattanten). Der Ehrenplatz auf der Vorderseite des Denkmals enthielt nur vereinzelt die Namen der Gefallenen. Zur Ausgestaltung wurden die bekannten preußischen Insignien verwendet. Aufwendigere Formen der Darstellung sind Sockel mit hoher Säule und Preußenadler, Sockel mit Soldat, Sockel mit Germania-Figur oder Sockel mit Löwe.

Weitaus die meisten dieser Kriegerdenkmäler sind aus rötlichem Sandstein hergestellt, vereinzelt wurde von den Steinmetzen auch Marmor oder Granit gewählt, für die Inschriften-Tafeln wurden oft schwarze polierte Marmorplatten verwendet, seltener sieht man gusseiserne Tafeln.

Eine interessante Tatsache ist, dass die weitaus meisten dieser Denkmäler in Südhessen errichtet wurden, besonders im Großraum Darmstadt, Frankfurt, Wiesbaden, Rheingau, im südlichen Taunus sowie in der Wetterau. Wenige oder fast keine Denkmäler stehen in Mittel- und Nordhessen, hier sind es v. a. die größeren Orte, in denen man noch auf Denkmäler stößt. Dies hängt wohl auch mit der geographischen Struktur des Landes zusammen, da Nordhessen wirtschaftlich ärmer war und die Gemeinden über weniger Geldmittel verfügten als im Süden.

Wenn man Hessen in nordsüdlicher Richtung durchwandert, stößt man auf diese Denkmäler. Leider wird diesen Denkmälern oft zu wenig Beachtung geschenkt. Dazu gehört auch die Tatsache, dass viele dieser Denkmäler gereinigt, restauriert oder teilweise erneuert werden müssen, da bei vielen die Inschriften nicht mehr lesbar sind; manche Denkmäler wurden beschmiert, und sind in einem sehr schlechten Zustand. Hier ist man sich über die Bedeutung der Pflege dieses kulturellen Erbes offenbar noch nicht bewusst geworden.

Die "Germania"

Nun zu Nauheims Kriegerdenkmal. Die große Begeisterung für das „Militärische“ in der Zeit Ende des 19. Jahrhunderts, die sich letztlich auch im Nauheimer "Kriegerverein" manifestierte, kulminierte dann zur Jahrhundertwende in der Vereinsinitiative zum Bau eines Kriegerdenkmales in Nauheim. 1899/1900 erhält der "Rechner des Kriegervereins Georg Wedel Beitrag zur Errichtung eines Kriegerdenkmals 600 M." und Georg Diehl III. zehn Mark "für das Reinigen des freien Platzes am Kriegerdenkmal und der Blumen mit Wasser daselbst."

Das Denkmal wurde im Juli 1899 eingeweiht und stand auf der südwestlichen Spitze des Friedrich-Ebert-Platzes vor dem dort stehenden Kastanienbaum. Auf einer viereckigen Säule aus schwarzem, polierten Granit stand die Germania aus Aluminiumguss und reckte dem aus dem Westen heimkehrenden Krieger mit erhobenem Arm den Lorbeerkranz entgegen. Fundament und Sockel haben eine Höhe von 2,37 m. Die Figur selbst ist 1,16 m groß. Das Fundament hat einen Durchmesser von 1,88 m. Das Denkmal hat ein Gewicht von rund 1,6 t. Auf der Sockel-Rückseite waren die Namen der Kriegsteilnehmer von 1870/71 eingemeißelt, die bis zur Aufstellung des Denkmals bereits verstorben waren. Im Krieg selbst gab es aus Nauheim keine Gefallenen. Nur zwei Ortsbürger verstarben an Krankheiten in Kriegslazaretten.

Die nächsten 25 Jahre finden sich immer wieder Gemeindeausgaben für die Blumenpflege. 1903 für Andreas Hagelauer aus Trebur, 1907 Gärtner Surma von Groß-Gerau, 1910 Christian von der Emden von Nauheim und 1925 ist es Adam Schneider aus der Bleichstraße, der die kleinen Beete um das Denkmal anpflanzt. Im Laufe der Jahre kommen eine Steineinfassung, danach ein einfaches Geländer, dann ein prächtiges Kunstschmiede-Gitter von der Kunstschmiedefirma Faulstroh aus Groß-Gerau zur Verschönerung um den Granitsockel.

Nach dem 2. Weltkrieg sind Kriegseuphorie und auch der Kriegerverein endgültig verschwunden. Es scheint eine Art Scham in den Ortsvätern gesteckt zu haben, denn das einst in die Dorfmitte "gejubelte“ Kriegerdenkmal, das auch ein Mahnmal gegen den Krieg sein könnte, verschwindet recht lautlos. "Nauheim, Gemeinderatssitzung vom 7. 8.1946. Das in der Bahnhofstraße stehende Kriegerdenkmal aus 1870/71 ist während des Krieges durch die Entfernung des Kunstschmiedegeländers und durch Granatbeschuß erheblich verstümmelt worden. Die Politik der Reichsregierung ist durch den Krieg zum großen Unglück für unser Volk geworden. Mit dem beschlossenen Abbau des Denkmals in der Bahnhofstraße wird der Abneigung gegen den Krieg Rechnung getragen. Nach Entfernung der auf den Krieg bezüglichen Inschriften soll der Stein zur Erinnerung an die Gefallenen auf dem Waldfriedhof aufgestellt werden. Nach dem Abbau des Denkmals wird der freie Platz in der Bahnhofstraße den Namen: Friedrich-Ebert-Platz erhalten."

Als das "Kriegerdenkmal" abgeräumt wurde, sorgte Georg Diehl dafür, dass die Steineinfassung nicht zerschlagen wurde. Er ließ sie von den Gemeindearbeitern hinter der SKV-Halle in der hintersten Ecke des ehemals licht bewaldeten Geländes deponieren. Die Germania war verschwunden und die meisten Dorfbewohner glaubten, sie sei umgeschmolzen in die ovale Platte mit dem Kopf des ersten Reichspräsidenten Friedrich Ebert. Wer sie wirklich beiseite geräumt und wo sie aufbewahrt wurde, ist unbekannt.

Das Denkmal steht jetzt im Waldfriedhofgelände am rückwärtigen Ausgang des Friedhofs. Die metallene Germania (im Sockel ist eingegossen: C. Echtermeier) steht noch immer auf ihrem schwarz-granitenen, polierten Sockel, doch fehlt der emporgereckte Arm mit dem Lorbeerkranz. Eine längst überfällige Sanierung der Germania im Jahre 2005 kostete 1.220 Euro.

Quelle: Nauheimer Chronik I (gekürzt) — Autor: Harald Hock