Peter Bajus - der "Schnellfüßler" aus Nauheim
Auszüge aus dem Buch von Herbert Bauch und Michael Birkmann, erschienen im Jonas-Verlag, Weidenhäuser Str. 88, 35037 Marburg,
ISBN 3-89445-198x, Preis 15 Euro,
sowie aus der Nauheimer Chronik I, Teil D - "Nauheim vor 1900" - von Harald Hock.

Zu Beginn des Jahres 1824 ereignete sich in Mainz ein "Wunder" - so stellte es zumindest ein zeitgenössischer Pressebericht dar. Eine Wette zwischen ortsansässigen Metzgermeistern ließ den Nauheimer Tagelöhner Johann Peter Bajus, der auch den Zunamen Stolz führte, versuchen, den 16 Stunden langen Weg von Mainz-Kastel nach Frankfurt am Main und retour in fünf Stunden zurückzulegen. Obwohl das Vorhaben misslang, war es doch bemerkenswert genug, dass mehrere deutsche Zeitungen einen weiteren überschwänglichen Bericht der Lokalpresse nachdruckten, damit auch ihre Leser sich ein Bild von dem Wunderwesen, dem man sofort das Prädikat "Schnellfüßler" verlieh, machen konnten.

Johann Peter Bajus, am 13. Juni 1795 in dem hessischen Ort Klein-Gerau geboren, lebte bis zum 15. Lebensjahr in Nauheim bei seinen Eltern. Nach dem Tode des Vaters im Jahre 1809 verließ er sein Elternhaus, um als Knecht in Mörfelden die Branntweinbrennerei zu erlernen. In diesem Gewerbe arbeitete der junge Mann sodann einige Jahre auf dem Riedhäuserhofe, einem südlich von Groß-Gerau gelegenen Hofgut, bis er zur Mutter nach Nauheim zurückkehrte und von da an den Lebensunterhalt als Tagelöhner verdiente.

Im Alltag wusste er sich zu behaupten. Und abends stellte er, der gelernte Branntweinbrenner, im Dorfgasthaus in Nauheim seinen Mann. Seine Lieblingsgaststätte war bald die Wirtschaft am "Römer", wie man um diese Zeit den heutigen Heinrich- Kaul-Platz nannte. Das Gasthaus, das einst Christoph Kuhlmann, bzw. dann dessen Schwiegersohn Johann Jakob Wenz gehörte, hatte später den Namen "Zum Hirschen". Als Peter Bajus seine Besuche machte, waren die Wirtsleute schon tot. Die zehn Wirtskinder, die älteste Tochter "in der Stille verheiratet", führten das Haus und sorgten für munteres Leben und Erleben.

Gasthaus zum Hirschen
Das Gasthaus "Zum Hirschen" um 1900 am Heinrich-Kaul-Platz in Nauheim

Unklar ist der weitere Lebenslauf des Johann Peter Bajus, trotz viel Wirbel in den Zeitungen, scheint sein Privatleben sehr ärmlich und unscheinbar geblieben zu sein. Sicher ist, dass er 1824 nach Darmstadt kam, dies bestätigt die erste Seite seines polizeilichen Meldebogens. Bestätigt ist dort auch, dass er Hofläufer beim Großherzog war und später nochmals beim Erbgroßherzog angestellt wurde. Personalbogen über die Hofläufer liegen für das 19. Jh. nicht vor.

Dabei fiel Bajus durch die Kraft und Schnelligkeit auf, womit er viele seiner Aufträge erledigte. Hierüber sind einige Anekdoten überliefert: so sollte er einmal für einen Bauern aus Nauheim in dem zwei Stunden entfernten Weiterstadt Schweine kaufen. Er erhielt den Auftrag, als sich der Landmann mit seiner Familie zu Tische setzte, und kehrte zurück, bevor sie die Mahlzeit beendet hatten. Der Bauer hielt es für unmöglich, daß Bajus seine Order schon ausgeführt hatte und begab sich selbst nach Weiterstadt; doch bevor er den Ort erreichte, kam ihm ein Wagen mit den von ihm frisch erworbenen Schweinen entgegen. Der Tagelöhner Peter Bajus mußte tatsächlich die vier Stunden lange Strecke in weniger als einer Stunde zurückgelegt haben.

Peter BajusSolche Geschichten sprachen sich rasch herum. Manche Zeitgenossen hielten sie allerdings für ausgemachte Schwindeleien oder zumindest für maßlos übertrieben. So mag es auch einigen Mainzer Metzgermeistem gegangen sein, die es aber nicht auf sich beruhen ließen, sondem durch einen Wettlauf überprüfen wollten, ob Bajus tatsächlich derart schnell laufen könnte.

Am 18. Januar 1824, einem Sonntag, war es soweit: Peter Bajus setzte sich um 9.15 Uhr in Mainz-Kastel in Bewegung und erreichte nach zwei Stunden und fünfzehn Minuten das Bockenheimer Tor in Frankfurt, wo der diensttuende Zöllner seine Ankunft bescheinigte; dass Bajus nach dieser guten Zwischenzeit am Wendepunkt doch noch das festgelegte Limit von fünf Stunden deutlich verfehlte, wird in den Zeitungsberichten auf verschiedene Ursachen zurückgeführt. Zum einen trug der Nauheimer Tagelöhner für eine solche Unternehmung die denkbar ungeeignetste Bekleidung, das heißt, er ging mit der Kleidung an den Start, die er auch sonst üblicherweise bei seinem Broterwerb auf dem Leibe trug: "alte zerlöcherte Schuhe" , die er unterwegs wegwerfen mußte, um dann in "geflickten alten Socken"  weiterzulaufen, die nach ein paar Kilometern "in Lappen" abfielen. Zum anderen hatte sich Bajus keine Gedanken über seine Verpflegung gemacht, so dass er sich unterwegs um Proviant kümmern musste. Als ihm dann noch auf dem Rückweg Zuschauer bei Hochheim am Main - wenige Kilometer vor Mainz-Kastel - zuriefen, er habe die Wette bereits verloren, ging er einen Teil der Strecke und legte nur noch das Schlussstück laufend zurück. Der "fliegende Mensch", wie ihn die Presse auch nannte, konnte die Zurufe des Publikums nicht kontrollieren, besaß er doch offenkundig keine Uhr.
         Peter Bajus - der Schnell-Läufer
Nach der Natur gezeichnet von N. Müller am 3.2.1824

Obwohl diese Wette öffentlich nicht angekündigt war, zog sie doch zahlreiche Zuschauer an, die - nicht unwichtig für die weitere Entwicklung - auch bereit waren, seine Leistung durch eine Sammlung anzuerkennen: es kamen über fünf Gulden sowie einige andere Geschenke zusammen.

Zwei Wochen später folgte ein weiterer Wettlauf in Mainz; am 8. Februar ein dritter, wobei Peter Bajus "in dem Angesichte von mehreren 1000 Zuschauern" den Weg von Mainz nach Fintheim und zurück lief. In anbetracht des schlechten Weges, der zwei bedeutenden Berge, die zu passiren sind, und der nothwendigen Störung durch die Menschenmenge, zu Fuß, zu Pferd und Wagen, will man diesen Lauf für einen der bedeutendsten halten", urteilte darüber die "Neue Mainzer Zeitung".

Beide Veranstaltungen verliefen für Bajus so erfolgreich, dass er, der arme Tagelöhner, es sich leisten konnte, jeweils zwei Gulden seiner Einnahmen für die Mainzer Bedürftigen zu spenden, wofür sich die "Central-Armen-Kommission" im "Mainzer Wochenblatt" bedankte: "Wem die armseligen Verhältnisse dieses dürftigen Mannes nicht unbekannt sind, der wird in dieser milden Gabe ein großes Geschenk erkennen, und sich mit mir freuen, daß sein Herz in einem nicht minder guten Zustand zu seyn scheint, als seine rüstigen Bewegungs-Werkzeuge."

Peter Bajus war inzwischen zu einer Berühmtheit im Rhein-Main-Gebiet geworden, so dass es nicht sonderlich überrascht, dass dem Nauheimer Tagelöhner vom Mainzer "Spiegel" mit Ausgabe vom 8. Februar 1824 eine Beilage mit der Lithographie seiner Person gewidmet wurde. Auch das Frankfurter Blatt für die >gebildeten Stände<, "Didaskalia", druckte das Porträt des >ungebildeten< Mannes mit den schnellen Füßen ab. Sein neuerworbener Ruhm drang sogar über die Landesgrenzen hinaus ins Ausland: nach Wien, England und Frankreich.

Bereits eine Woche nach dem letzten Auftritt in Mainz erschien Bajus in Frankfurt am Main. Zum ersten Male wurde ein Lauf in der Presse, dem "Frankfurter Journal", angekündigt. Es handelte sich nicht mehr um eine Wette, vielmehr sollte den Einwohnern der Freien Stadt ein "Schauspiel" geboten werden. Damit verband Bajus sicherlich die Hoffnung, dass bei einer großen Zuschauerzahl die Geldsammlung recht einträglich für ihn ausfallen könnte.

Pünktlich um 14 Uhr am 15. Februar 1824 begann der Nauheimer seinen "Schnellgang" nach Hanau. Am Startplatz vor dem Schützenhaus am Allerheiligentor hatte sich eine überaus stattliche Zuschauerschar versammelt, um das Ereignis mitzuerleben. Bajus, der von der hier residierenden Schützengesellschaft eine besondere Bekleidung erhalten hatte - wohl der Welt des fahrenden Volkes abgeschaut, damit er für die Zuschauer besser als in seiner normalen Alltagskleidung zu erkennen war -, sprang kurzentschlossen über eine Gartenhecke, um den dicht gedrängten Menschen auszuweichen, und erreichte auf einem Umweg die Straße nach Osten. Begleitet wurde er von mehreren Reitern.

Hanauer Tor
Das Schützenhaus vor dem Hanauer Tor (Allerheiligentor)
war Start und Ziel des berühmten Hanau-Laufes von Peter Bajus

Nach einer knappen Stunde kam Bajus am Zollhaus vor Hanau an; dort erwartete ihn ein begeistertes Publikum. Nachdem er die Bescheinigung über seine ordungsgemäße Ankunft erhalten hatte, begann er den Rückweg und musste sich dazu erst einmal durch die vielen Menschen hindurchdrängen. Auch in dem etwa auf halber Wegstrecke zwischen den beiden Mainstädten gelegenen Ort Dörnigheim waren viele Menschen zusammengekommen und hinderten ihn, den direkten Weg durch das Dorf zu nehmen. Er musste es auf einem kotigen Weg umlaufen.

Am letzten Chausseehaus vor Frankfurt war die Menschenmenge inzwischen so angewachsen, dass es für Peter Bajus kein Durchkommen mehr gab. Gegen seinen Willen wurde er in eine Kutsche gesetzt und zum Zielplatz am Allerheiligentor gefahren. In seinem Gefolge befanden sich mehr als 60 Wagen und zahlreiche Reiter.

In Frankfurt und Hanau wurden Sammlungen für Bajus durchgeführt, die sehr günstig für ihn ausfielen. Allein im Schützenhaus sollen 196 Gulden zusammengekommen sein; insgesamt in Frankfurt - es wurde auch in anderen Wirts- und Gasthäusern der Stadt gesammelt - fast 500 Gulden.

Ganz ungetrübt konnte der Gefeierte und Bewunderte auf seinen ersten Auftritt in Frankfurt jedoch nicht zurückblicken. Denn am 15. Februar war in einem anderen Lokalblatt für den gleichen Tag ein Lauf von Bajus nach Höchst angekündigt worden. Inwieweit der Nauheimer Tagelöhner für die Duplizität der Ankündigungen verantwortlich war oder die günstige Gelegenheit von einem geschäftstüchtigen Wirt - Start und Ziel des Höchster Laufes sollte das Gasthaus "Zum weißen Schwan" sein - ausgenutzt wurde, läßt sich heute freilich nicht mehr feststellen. Peter Bajus jedenfalls erhielt einen amtlichen Verweis: ihm wurde für den Wiederholungsfalle angedroht, für weitere Auftritte keine "obrigkeitliche Bewilligung" mehr zu erhalten.

Durch diesen Vorfall wurde schon in der Anfangszeit der Schnellläufe das Augenmerk auf die Gastwirte gelenkt. Sie spielten bei der raschen Verbreitung der neuen Publikumsattraktion eine wichtige Rolle. Start, Ziel und Wendepunkte waren nämlich sehr häufig Lokale oder befanden sich zumindest in der Nähe. Auf diese Weise waren die Zuschauer, wenn die Läufer unterwegs und nicht sichtbar waren, beschäftigt und traten nicht aus Langeweile vorzeitig den Heimweg an. Das hätte die Geldsammlungen für die Akteure nicht unerheblich geschmälert. Die Gastwirte wiederum sahen in den Laufveranstaltungen eine Möglichkeit, Besucher anzulocken und den Umsatz zu steigern.

  Die Läufe breiten sich aus  

Bedingt durch das große Publikumsinteresse und den enormen finanziellen Erfolg, ist es kaum verwunderlich, dass nach dem aufsehenerregenden Hanau-Lauf von Peter Bajus weitere Akteure die Szene betraten und sich als Schnellläufer versuchten. In rascher Folge kam es zu weiteren Auftritten. Schon vier Tage später, am 19. Februar 1824, startete Johann Valentin Görich aus Langen, einem kleinen Marktflecken zwischen der Freien Stadt Frankfurt und dem Sitz der Residenz des Großherzogs von Hessen-Darmstadt, zu einem Wettlauf von Offenbach nach Sprendlingen. Anlass dieses Ereignisses war die Weigerung eines Kutschers gewesen, Görich auf seinem Fußweg von Langen nach Arheilgen mitfahren zu lassen. Aus Trotz und Verärgerung trabte Görich nach Arheilgen und kam dort acht Minuten früher als der vierspännige Wagen an. Der Kutscher war darüber sehr ungehalten und erzählte den Vorfall dem Darmstädter Platzkommandanten, Oberst Ulrich Pultz von Karlsen, dem Eigentümer des Gespanns. Sicher hatte der Oberst von den Bajus-Wettläufen gehört oder gelesen und sah durch den geschilderten Vorfall eine günstige Gelegenheit, selbst ein solches Spektakel zu inszenieren. Der Wettlauf fand auf der neu erbauten, schnurgeraden Straße von Offenbach nach Sprendlingen statt; die Streckenlänge betrug hin und zurück fünf Stunden. Valentin Görich benötigte dafür etwa 1 1/2 Stunden, gewann die Wette und erhielt für seine Leistung ein "glaubhaftes Zeugniß".

Ermutigt von seinem Wetterfolg trat der Langener am folgenden Sonntag erneut an. Der Weinwirt Claus aus Oberrad kündigte in einem Zeitungsinserat den geplanten Lauf von Oberrad nach Bieber an, und wies dabei ausdrücklich darauf hin, daß der Akteur "seinen Lauf bei mir beginnen und wieder allda zurückkehren" werde. Diesmal hatte Görich weniger Erfolg; er erreichte erschöpft das Ziel und benötigte elf Minuten länger als angekündigt. Kurz vor Bieber hatte es noch einen Zwischenfall gegeben, als einige Jugendliche seinen Lauf behinderten und der Langener deshalb einen von ihnen aus dem Weg stieß, worauf sie ihn mit Steinen bewarfen und ein Stein ihn am Nacken traf. Görich soll nach dem anstrengenden Lauf noch tüchtig getanzt haben, danach aber erkrankt sein. Einige sprachen von einem Blutsturz mit tödlichem Ausgang. Das "Morgenblatt für gebildete Stände" fragte in dem Zusammenhang, "ob sich diese Läufer perfektioniren, oder, was wahrscheinlicher ist, das Opfer ihres Vorwitzes werden. Sie sich einen nicht sowohl durch Ehrgeiz und eigene Gewinnsucht, als durch Instigationen gewinnsüchtiger Wirthe angetrieben, welche sich bei diesen Schnellläufen durch den zahlreichen Zuspruch sehr wohl befunden haben."

Trotz alledem - schon eine Woche später fanden zwei Veranstaltungen an einem einzigen Tag in Frankfurt statt. Samuel Hartwig aus Offenbach führte zwischen Bornheim und Bonames seinen ersten Lauf durch, und ein Mann namens Geißel lief von Niederrad zur Gehspitze.

Hartwig hatte einen glänzenden Einstand. Die vier Stunden lange Strecke, die er in 72 Minuten bewältigen wollte, durchlief er in erstaunlichen 60 Minuten und tanzte anschließend die Nacht hindurch im Bornheimer "Schützenhof", dessen Wirt Rühl das Spektakel angekündigt hatte.

Drei Wochen später zeigte sich Samuel Hartwig erneut in Frankfurt; er lief von Bonames nach Homburg und retour. An diesem Sonntag, es war der 21. März, fanden noch zwei weitere Läufe statt. J. G. Brunner machte sich vom Allerheiligentor auf den Weg nach Hanau und beabsichtigte, die Route in zwei Stunden und vierzig Minuten in beiden Richtungen zu bewältigen, womit er aber deutlich über der von Peter Bajus gelaufenen Zeit bleiben wollte. Brunner hatte vom Bajus Schnellgang nach Hanau gelernt und bat in seiner Zeitungsankündigung, "den Weg rechts von der Chaussee offen zu lassen." Den dritten Lauf an diesem Tage bestritt der aus Bornheim stammende Philipp Höner von seinem Wohnort nach Vilbel und zurück.

An diesem ereignisreichen Wochenende fand sogar noch ein vierter Lauf statt. Im etwa 60 Kilometer östlich von Frankfurt gelegenen Steinau, hatte sich am Samstagabend eine Gesellschaft zusammengefunden. Während der Unterhaltung kam die Rede auf Peter Bajus, den "Schnellfüßler", was zur Folge hatte, dass sich zwei Teilnehmer der fröhlichen Runde abends um 9 Uhr "bei stockfinsterer Nacht" auf den Weg nach Schlüchtern machten, um von dort innerhalb von 80 Minuten ein Familienporträt - als Beweis, daß sie das vereinbarte Ziel erreicht hatten - herbeizuschaffen. Das Vorhaben gelang; "dass ihre pünktliche und glaubhafte Zurückkunft noch fröhlich gefeiert wurde, versteht sich von selbst".

  Peter Bajus wird Hofläufer  

In der Woche nach seinem großen Hanau-Lauf ließ sich Peter Bajus noch zweimal in Frankfurt sehen. Einmal unternahm er "auf den Wunsch einer besonderen Gesellschaft einen Schnellspaziergang" vom Bockenheimer Tor zur Galluswarte und zurück. Obwohl "dieser Gang ganz geheim gehalten wurde, war dennoch eine große Menge Menschen versammelt." Das andere Mal holte er seinen Lauf nach Höchst nach, wobei er "im Angesicht vieler Tausend Menschen" in vier "starke Stunden" lange Strecke in 68 Minuten zurücklegte. In der Ankündigung des Laufes wird erstmalig auf eine beabsichtigte Geldsammlung hingewiesen. "Da sich am vergangenen Sonntag sehr viele Personen äußerten, sehr gern diesem wirklich unbemittelten Schnellfüßler für seine Anstrengungen eine kleine Gabe zu spenden, hierzu aber keine Gelegenheit fanden, so wird morgen seine Frau mit einem Kinde von ihm diese allenfassige Spenden an einem am Bockenheirner Thore stehenden kleinen Tische selbst mit dem verbindlichsten Danke in Empfang nehmen."

Am darauffolgenden Sonntag, es war der 22. Februar 1824, erhielt Peter Bajus von Ludwig I., Großherzog von Hessen-Darmstadt, die Aufforderung, in die Residenzstadt zu kommen. Der Nauheimer Tagelöhner verließ Frankfurt aber nicht, ohne sich in einer Zeitungsannonce beiden großzügigen Einwohnern für das Wohlwollen und die "reichlichen Spenden" zu bedanken. Da er auch die Hoffnung aussprach, "in bevorstehender Messe noch einige Schnellläufe dahier zu unternehmen", erwartete er wahrscheinlich nur einen besonderen Auftrag, den er für den Großherzog erledigen sollte.

Auch Darmstädter Bürger schienen die an Bajus ergangene Order mitbekommen zu haben, denn "es verbreitete sich nämlich nach allen Seiten hin das Gerücht, der durch seine Schnellläufe berühmt gewordene Peter Bajus werde präcis 12 Uhr Mittags am Frankfurter Thore eintreffen." Schon um 11 Uhr fing daher das Wallfahrten nach dem 3/4 Stunden von hier gelegenen Arheiligen an und um 12 Uhr war die Chaussee von einer unzählbaren Menschenmenge aus allen Ständen übersäet. Da dachte man weder an Mittagessen, noch an Kaffeetrinken, noch an Schlafstündchen - man vergaß alles dies, weil zu befürchten war, dass während dem der Peter entwischt seyn möchte. Von Minute zu Minute nahm das Hinzuströmen aus allen Ecken und Enden zu selbst ein Theil der hohen Standespersonen fuhren dem Erwarteten entgegen, und dies währte, bis die Schatten der Nacht die Gegend umhüllten." Bajus lief aber nicht an diesem Tage ein, und so konnten sich die Menschen nur an dem "überaus schönen Wetter" erfreuen. Zufrieden waren "auch die vor der Stadt und im nächsten Dorfe befindlichen Gastwirthe", denn völlig unerwartet konnten sie "eine so zahlreiche hungrige und durstige Gesellschaft befriedigend" verköstigen.

Einen Tag später erschien Bajus dann tatsächlich in Darmstadt und "kehrte in dem Gasthaus zur Traube ein. Die Nachricht von seiner Ankunft verbreitete sich wie ein Lauf-Feuer durch die Stadt. In wenigen Minuten hatten die am Tage vorher über seinen Besuch getäuschte Menge den Gasthof in Belagerungs-Stand versetzt. Der Schwarm der Neugierigen wuchs gleich einer Schneelawine von Minute zu Minute bis zur Masse. Mit äusserster Mühe und Anstrengung gelang es dem Lauf-Künstler durch das Volk zu dringen, um das Großherzogliche Schloß, wohin er bestellt war, zu erreichen. Man sah sich genöthigt, um die Menge vom Eindringen in den Schloßhof abzuhalten, die Schildwachen an den Eingängen zu vervierfachen. Von 1 bis 4 Uhr Nachmittags harrte das Volk seiner Zurückkunft mit Ungeduld. Die Straße vom Schlosse bis zur Traube war auf beiden Seiten von den Massen besetzt. Bajus schlug einen anderen Weg ein; nur wenige wurden dies gewahr, die Menge aber getäuscht."

Großherzogliche Schloß in Darmstadt
Das Großherzogliche Schloß in Darmstadt
Großherzog Ludwig I. bot Bajus eine Hof-Läuferstelle an

Peter Bajus erhielt von Ludwig I. die Offerte, sich bei ihm als Hofläufer zu verdingen. Von einer Probe - einem Wettlauf gegen das schnellste Pferd aus dem Stall des Großherzogs, wie es die mündliche Überlieferung wissen will - ist in den zeitgenössischen Blättern mit keiner Zeile die Rede. Der Nauheimer zögerte wohl keinen Augenblick, in die Dienste des Hofes zu treten. Er ergriff die Chance, den Lebensunterhalt für sich und seine Familie - Bajus war seit zweieinhalb Jahren mit der Wirtstochter Elisabeth Wenz verheiratet, und aus dieser Verbindung waren bereits vier Kinder hervorgegangen - auf eine sichere Grundlage zu stellen. Denn die Existenz eines Tagelöhners war ungewiß und kärglich. Aber auch die Möglichkeit, durch seine flinken Beine ein Zubrot zu verdienen, barg Risiken in sich. So wird verständlich, warum Peter Bajus der großen Verlockung widerstand, den "schnellen Taler" zu machen, und stattdessen lieber für Großherzog Ludwig I. lief, wenngleich sein Lohn nicht allzu "fürstlich" war. Auf der Habenseite konnte der Nauheimer Tagelöhner jedoch einen enormen Gewinn an sozialer Anerkennung und Prestige verbuchen. Während seiner langjährigen Dienstzeit gelang es ihm sogar, seinen Söhnen Johannes, Wilhelm und Peter Wilhelm ebenfalls eine Stellung bei Hofe zu verschaffen. Sie wurden Läufer und Lakaien.

Einen vorerst letzten Lauf unternahm Peter Bajus am 26. Februar 1826, um eine Sendung von Darmstadt nach Frankfurt zu überbringen. Dabei hat sich auf dem Rückweg wahrscheinlich der Vorfall zugetragen, der in dem in der "Didaskalia" veröffentlichten Gedicht "Der besiegte Bajus" geschildert wurde. Hinweise auf weitere Bajus-Schauläufe gibt es nicht, weil sich der ehemalige Tagelöhner vermutlich als Großherzoglicher Bediensteter in der Öffentlichkeit nicht mehr auf solche Art und Weise produzieren durfte. Eine Ausnahme stellte ein Lauf von der Fechenheimer Mainkur nach Hanau im Juli 1826 dar, der in der Hanauer "Zieglerschen Chronik" vermerkt ist; in den zeitgenössischen Journalen lassen sich jedoch weder Ankündigungen noch Berichte über den Auftritt finden.

Peter Bajus bildete während seiner Berufstätigkeit am Hofe des Großherzogs auch seinen ältesten Sohn Johannes zum Hofläufer aus, der diese Aufgabe einige Jahre später vom Vater übernahm. Das ermöglichte dem alten Bajus im Jahre 1844 einen Comeback-Versuch als Schnelläufer, der aber wenig erfolgreich verlief. Die zwei Jahrzehnte seit dem ersten Auftritt waren nicht spurlos an ihm vorübergegangen; auch ließ sich das Publikum nicht mehr so begeistern, wie es Peter Bajus selbst in den Anfängen erlebt hatte. Er zog die Konsequenzen, und trat erneut in die Dienste des Großherzogs von Hessen-Darmstadt ein: diesmal als Lakai.

  Familie Bajus wandert aus  

Der vom Tagelöhner zum Holläufer und -lakai avancierte Peter Bajus zeigte sich mehr als fünfzig Jahre seines Lebens heimatverbunden: er lebte und arbeitete während all dieser Zeit im Rhein-Main-Gebiet. Weder seine Berufsausbildung noch sein Broterwerb führten ihn vom Ort der Geburt bzw. der Kindheit weiter weg als zwei oder drei Dutzend Kilometer. Auch seine läuferischen Darbietungen änderten hieran nichts; er führte keine "Tourneen" wie andere Läufer durch und nahm auch das Angebot, Wettläufe in England zu bestreiten, nicht an. Deshalb überrascht es ein wenig, dass er als alter Mann noch seiner Heimat den Rücken kehrte.

Peter Bajus Auswanderung nach Amerika verwundert aber nur auf den ersten Blick, denn in seiner Familie gab es sicherlich genug Anlässe, über einen solchen Schritt nachzudenken. Sein Schwager war schon frühzeitig ausgewandert, so dass es ihm möglich wurde, seinen Neffen Peter Wilhelm im Jahre 1843 bei sich aufzunehmen und ihm den Start in ein neues Leben zu ermöglichen. Nur wenige Jahre später folgten Jakob und Anna-Katharina ihrem Bruder nach Übersee.

Es ist zu vermuten, dass die emigrierten Kinder ihren Eltern und Geschwistern in Briefen über ihr Leben in der Neuen Welt berichteten und es in den schönsten Farben zeichneten. Für den ehemaligen "Schnellfüßler" könnten daher zwei Gründe ausschlaggebend gewesen sein, die weite und nicht ungefährliche Reise über den Atlantik zu wagen. Vielleicht wollte er - solange es ihm möglich schien - seine fernab der alten Heimat lebenden Kinder und deren Familien noch einmal sehen. Vielleicht hatten diese auch, weil sie in der Fremde erfolgreich Fuß gefasst hatten, ihre Angehörigen ermuntert, ebenfalls nach Amerika zu kommen und dort ihr Glück zu suchen. Diese Annahme erscheint auch insoweit plausibel, als Peter Bajus zweimal die Reise nach Übersee antrat, einmal im Jahre 1852, um sich durch eigenen Augenschein von den geschilderten Lebensverhältnissen zu überzeugen, und das andere Mal im Jahre 1856, um endgültig dort zu bleiben.

Seine erste Überfahrt erfolgte von der französischen Stadt Le Havre mit dem Segelschiff "Samuel M. Fox" nach New York. In den Passagierlisten wird er als 56jähriger Zimmermann aus Hessen bzw. Bayern geführt. Da die Einschiffung in Le Havre vor dem 13. Juni 1852 erfolgte, konnte er sein Alter noch guten Gewissens mit 56 Jahren angeben. Die Berufsbezeichnung "Zimmermann" läßt vermuten, dass Bajus es für zweckmäßig hielt, bei der Einreise in die Vereinigten Staaten einen "nützlichen" Beruf vorzuweisen, zumal die Richtigkeit seiner Angaben zunächst nicht nachprüfbar war.

Die Überfahrt der "Samuel M. Fox", die Mitte Juni 1852 ihre Anker lichtete, ist in einem Bericht, der 1910 in dem deutschsprachigen "Kansas Volksblatt" veröffentlicht wurde, aus dem Erleben süddeutscher Auswanderer geschildert. Vermutlich legte Peter Bajus den Weg in die französische Hafenstadt in ähnlicher Weise zurück, wie er in der Zeitung beschrieben wird: rheinabwärts bis nach Köln, von dort mit dem Zug nach Paris und weiter nach Le Havre.

Nach etlichen Tagen, die man in Havre zugebracht hatte, ging es dann aufs Schiff. Es war ein englisches Segelschiff, ein Dreimaster von 1500 Tonnen, namens "Samuel M. Fox". Dieses Schiff hatte 32 Segel. Die Zahl der Passagiere und der Mannschaft wird mit 500 bis 900 angegeben. Vermutlich ist 700 ungefähr die richtige Zahl. Wären es auch nur 500 gewesen, so müsste das Schiff überfüllt gewesen sein.

Anfangs ging die Fahrt ganz gut, bald stellte sich aber ungünstiges Wetter ein, so dass die Fahrt sehr langsam voran ging. Bald brach auch eine Meuterei unter den Matrosen aus. Diese hätte schlimm verlaufen können, da die Meuterer damit drohten, dass sie das Schiff in Brand setzen und auf Kähnen flüchten würden. Glücklicherweise war aber die Mehrzahl der Mannschaft zuverlässig; mit ihrer Hilfe wurden die Meuterer überwältigt und in Ketten geschlossen mit nach New York genommen, woselbst sie an die Behörden übergeben wurden.

Unsere Gesellschaft hatte sich gut mit Lebensmitteln ausgestattet. Auch auf dem Schiff war gut gesorgt, dass man für sich selbst kochen konnte. Dazu waren zwei Küchen vorhanden. Im ganzen waren es vier Küchen, eine für die Schiffsmannschaft, eine für die Kajüten-Passagiere und zwei für die Reisenden im Zwischendeck, davon eine für die Frauen und die andere für die Männer.

Diese Küchen waren zwölf Fuß lang mit einem Ofen auf jeder Seite, die volle Länge der Küche. Selbstverständlich war der Ofenplatz für die vielen Reisenden im Zwischendeck sehr knapp und es hieß daher bei Zeiten zur Stelle zu sein, wenn man Platz auf dem Ofen haben wollte. Wer zuerst kam, mußte das Feuer unter seinem Teil des Ofens selbst anzünden, musste darauf Acht geben, dass er nicht wieder verdrängt wurde, denn bei vielen galt Macht mehr als Recht. Der Stärkere verdrängte den Schwächeren und nahm dessen Kessel oder Topf vom Ofen und warf ihn zur Tür hinaus.

Aus Gesundheitsrücksichten wurde sehr auf Reinlichkeit geachtet. Infolgedessen geschah es denn auch, dass einem der jungen Männer aus unserer Gesellschaft der Strohsack ins Meer geworfen wurde. Durch ungünstiges Wetter war das Schiff so weit nordwärts aus seiner Richtung getrieben, dass öfters Walfische zu sehen waren. Ihre Beobachtung diente für uns alle zum Zeitvertreib. Es ereigneten sich zwölf Todesfälle während dieser Seereise. Darunter war eine 29-jährige, die am Typhusfieber starb und die, so wie die anderen, im tiefen Meer ihr Grab fand. Auch wurden drei Kinder geboren, zwei Mädchen und ein Knabe, der, wenn er noch lebt, den Namen des Schiffes "Samuel Fox" trägt. Gegen Ende der Seereise wurden Wasser und Lebensmittel knapp, so dass man nur wenig zu essen und zu trinken hatte. Die Passagiere mußten sich im Salzwasser waschen.

Endlich, am dritten August, nach 52tägiger Seefahrt, erscholl der willkommene Ruf "Land! Land!". Was war das für eine Freude und ein Jubel, als man endlich die Erlösung von dem im Zwischendeck eingepferchten Leben nahe sah. Am 4. August machte die "Samuel M. Fox" im Hafen von New York fest. Peter Bajus reiste von dort vermutlich zu seinem Schwager und seinen Kindern weiter. Wohin hätte er sich sonst auch wenden sollen? Wie lange er sich bei ihnen aufhielt, lässt sich heute kaum noch feststellen, denn auf der Gegenroute wurden nicht so sorgfältig Passagierlisten erstellt und aufbewahrt.

Ein Jahr später zog es auch den Bajus-Sohn Ludwig nach Amerika, bevor in den Jahren 1856 und 1857 weitere Familienmitglieder folgten: zunächst der ehemalige "Schnell-Läufer" Peter Bajus, zusammen mit seinen jüngeren Söhnen Johann Martin und Philipp, die sich alle drei bei der Einreise in die Vereinigten Staaten als "Farmer aus Hessen "auswiesen". Seine Ehefrau Elisabeth folgte im Frühjahr 1857 als letztes auswanderungswilliges Familienmitglied nach. In welcher Gegend Nordamerikas sich die Familie ansiedelte, konnte bisher nicht ermittelt werden, jedoch mit Hilfe der seit 1790 regelmäßig alle zehn Jahre durchgeführten Volkszählungen könnte das noch gelingen, so dass sich Peter Bajus' Spuren nicht unbedingt verlieren müssen.

Zurück in der hessischen Heimat blieben der älteste Sohn Johannes, der von seinem Vater bereits viele Jahre vor dessen Auswanderung mit der Darmstädter Hofläuferstelle beerbt wurde; sein Sohn Wilhelm, als Lakai ebenfalls im Dienste des Großherzogs Ludwig I. sowie seine verheirateten Töchter Elisabeth und Wilhelmine.

In Nauheim wurde nach 1823 noch häufig der Name Bajus in Zusammenhang mit Hilfsdiensten in der BMR erwähnt, aber das waren Brüder und Neffen des Schnellläufers. Der letzte Bajus in Nauheim war, laut Familien-Register, der 1919 ernannte Schuldiener Bajus.

Aber der Name ist noch nicht vergessen in Nauheim! Die ehemalige "Prinzess-Garde" der Nauheimer Carneval Gesellschaft (NCG) nennt sich seit 1968 "Bajus-Garde".

  Die Familie des Peter Bajus:  

Peter Bajus ( * Klein-Gerau 13.7.1795; + 18.2.1875 in Kingston/Ontario/Kanada),
heiratet am 7.10.1821 in Nauheim die Wirtstochter Elisabeth Margarethe Wenz
(* Nauheim 6. 5.1795; + 17.2.1887 in Kingston/Ontario).

Kinder:
1. Johannes (* vorehel. Nauheim 16.11.1816; Großherzoglicher Hofläufer; + Darmstadt 1873 als Oberhoflakai).
2. Jakob (* vorehel. Nauheim 7.7.1818; mit dem Vater 1856 nach Kanada ausgewandert; + 1893).
    Ein in Amerika geborener Sohn von ihm hat später als Schlosser in Marburg gelebt.
3. Anna Katharina (* vorehel. Nauheim 30.5.1820; ....?)
4. Anna Elisabeth (* Nauheim 23.9.1822; + Nauheim 23.11.1822).  
5. Katharine Elisabeth (* Nauheim 18.10.1823 ... ?).
6. Wilhelmine (* Darmstadt 1.11.1924; + Nauheim 20.8.1844);
7. Peter Wilhelm (* Darmstadt 9.7.1826; + 1897 in Ontario).
8. Wilhelm (* Darmstadt 14.11.1829; 1869 in Darmstadt als Leiblakai pensioniert).
9. Johann Martin (* Darmstadt 30.10.1831 ...
10. Ludwig (* Darmstadt 19.4.1835 ... ?).
11. Philipp (* Darmstadt 20. 1. 1839 ... ?).


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